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Peer-Involvement als pädagogisches Konzept (Teil 1)

Geschichte des Peer-Involvement

Der Begriff „Peer“ bedeutet gemäß seiner altfranzösischen Wurzel so viel wie „gleichrangig“ oder „gleichgestellt“ und ist – obgleich der Umstrittenheit seines etymologischen Ursprungs (Kleiber, Appel & Pforr, 1998; Naudascher, 1977) – in der Begriffspaarung „Peer Group“ bereits seit einigen Jahrzehnten Gegenstand psychologischer, erziehungs- und bildungswissenschaftlicher Forschung (Damon, 1984; DuBois & Karcher, 2013; u.a. Naudascher, 1977; Piaget, 2003). Die Verwirklichung von Erziehungszielen durch die Instrumentalisierung des Einflusses von Gleichaltrigen oder Gleichgestellten ist jedoch kein neuzeitliches Phänomen. „Als zentraler Durchbruch der Idee von Peer Ansätzen gilt das schulische Peer-Lernen im frühen 19. Jahrhundert“, wo es als adjuvante Methode der schulischen Bildung eingesetzt wurde (Schmidt, 2002, S. 127).

Laut Wagner (1982) geht der erste schriftliche Nachweis des Einsatzes von Gleichaltrigen als Erzieher bereits auf Aristoteles zurück und wurde in verschiedener Form im Laufe der Geschichte wieder- und neuentdeckt. Erst zu Zeiten der Renaissance und Reformation ist jedoch eine überdauernde Wiederbesinnung auf das Prinzip nachzuweisen. Erwähnenswert ist das von Andrew Bell erdachte und von Joseph Lancaster im Königreich Großbritannien um 1800 verwirklichte Monitorialsystem, bei dem erfahrene Schüler als Hilfslehrer unterrichteten.

Miller und MacGilchrist (1996) unterscheiden zwei wesentliche Entwicklungslinien und Begründungsmuster des Peer-Involvement:

  • „Peer Teaching“ d.h. Unterricht durch gleichaltrige oder gleichgestellte Schüler und Studenten. Begründet aus ökonomischer Notwendigkeit und wissenschaftlich in den USA ab 1960 aufgegriffen, wird der Ansatz heute aufgrund der potentiell qualitativen Verbesserung des Lernens eingesetzt: „It suggests that there are positive psychological benefits for both the peer tutor and the tutee“ (S.26).
  • „Psychosocial peer-led programmes” sind historisch aus dem Bedarf nach besseren Methoden zur Erreichung von Verhaltensänderung entstanden. Theoretisch werden sie hauptsächlich durch die sozial-kognitive Lerntheorie und die Inokulationstheorie begründet und entstanden ab 1975 überwiegend in den USA.

Die Peer-Ansätze des 20. Jahrhunderts stehen in keiner direkten Traditionslinie mit den diversen von Wagner aufgezeigten, unter vielgestaltigen historischen und ökonomischen Rahmenbedingungen entstanden Beispielen von Erziehung durch Peers (Damon & Phelps, 1989).

Shiner (1999, S. 555) weist deutlich auf die begriffliche Ambiguität hin, die das umrissene Feld bis dato kennzeichnet: „The need for tighter definitions is clear“. Für die theoretische Auseinandersetzung und Evaluationen der Peer-Involvement Ansätze markiert das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine Phase der Bilanzierung und Professionalisierung, gekennzeichnet von einem kritischen Diskurs gegenüber der bis dahin überwiegend praxisgeleiteten und unkritischen (Weiter-)Entwicklung der in der Mitte des Jahrhunderts begonnenen pädagogischen Praxis (z.B. Dishion, McCord & Poulin, 1999; Turner & Shepherd, 1999; Walker & Avis, 1999).

Konzeptuelle Formen des Peer-Involvement

In der pädagogischen Praxis sind divergente, theoretisch uneinheitlich begründete Ansätze der Arbeit mit Peers verbreitet, die gegenwärtig unter dem Überbegriff „Peer-Involvement“ subsumiert werden. Zielsetzung und methodische Verortung spiegeln sich jeweils in der Namensgebung wider: „Peer Counseling“, „Peer Tutoring“ und „Peer Mediation“ seien hierbei exemplarisch genannt (Kleiber & Pforr, 1996). Laut Schmidt (2002, S. 129) gehören zu „Peer-Involvement“ all diejenigen Ansätze, die „von außen initiiert wurden“, sich also von der ubiquitären Interaktion von Menschen innerhalb ihrer Bezugsgruppe(n) abgrenzen.

Diese breite Perspektive und die Vielzahl von Praxisansätzen führen zwangsläufig zu definitorischer Unschärfe und einem ungleichen Evidenzbestand, „With no guidelines to differentiate between the techniques used, there is a danger that all projects that involve peer-led work will be categorized as one and compared “like to like” (Miller & MacGilchrist, 1996, S. 25). Allgemeine Übereinstimmung besteht jedoch darin, dass Peer-Ansätze sich auf die unterstützende Interaktion von Gleichaltrigen, Gleichbetroffenen, Gleichgestellten, Gleicherfahrenen beziehen (z.B. McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000; Miller & MacGilchrist, 1996; Shiner, 1999). Diese sind nicht an formalisierte Bildungskontexte wie zum Beispiel klassische Bildungseinrichtungen gebunden, sondern werden auch in nicht-formalen Kontexten initiiert.

Einige Autoren haben in der Vergangenheit Vorschläge zur Systematisierung der vielfältigen Peer-Ansätze gemacht (z.B. Kleiber & Pforr, 1996; Topping & Ehly, 1998). Während innerhalb der bildungswissenschaftlichen Methodendiskussion die Unterscheidung der wichtigsten Methoden („Peer-Tutoring“, „Cooperative Learning“ und „Peer-Assessment“) trennscharf erscheint (Damon & Phelps, 1989; Topping, 2007), wird die insbesondere im gesundheitspädagogischen Präventionsdiskurs etablierte Systematik (Backes & Lieb, 2003; Kleiber, Appel & Pforr, 1998) für ihre mangelnde Trennschärfe kritisiert (Heyer, 2010; Miller & MacGilchrist, 1996). Hierbei wurden im deutschsprachigen Raum „Peer-Counseling“, „Peer-Education“ und „Peer-Projekte“ als wesentliche Methoden identifiziert.

Da mangels Vereinheitlichung und der Fülle grauer Literatur keine erschöpfende Übersicht darstellbar ist, werden in den folgenden Blogs einige der zentralen Ansätze exemplarisch dargelegt.

Teil II: Konzeptuelle Formen des Peer-Involvement

Literatur:
  • Kleiber, D., Appel, E. & Pforr, P. (1998). Peer Education in der Präventionsarbeit. Berlin (Institut für Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung an der FU Berlin) Köln.
  • Naudascher, B. (1977). Die Gleichaltrigen als Erzieher. Fakten, Theorien, Konsequenzen zur Peer-Group-Forschung: Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt.
  • Damon, W. (1984). Peer education: The untapped potential. Journal of Applied Developmental Psychology, 5 (4), 331–343. Verfügbar unter http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0193397384900066
  • DuBois, D. L. & Karcher, M. J. (2013). Handbook of youth mentoring: Sage Publications.
  • Piaget, J. (2003). Meine theorie der geistigen entwicklung: Beltz.
  • Schmidt, B. (2002). Peer-Intervention–Peer-Involvement–Peer-Support: Möglichkeiten und Grenzen peergestützter Ansätze für die Prävention riskanter Drogenkonsumformen in der Partyszene. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)(Hrsg.): Drogenkonsum in der Partyszene: Entwicklungen und aktueller Kenntnisstand, 127–140.
  • Wagner, L. (1982). Peer teaching: Historical perspectives: Praeger Pub Text.
  • Miller, W. & MacGilchrist, L. (1996). A model for peer-led work. Health Education, 96 (2), 24–29.
  • Shiner, M. (1999). Defining peer education. Journal of Adolescence, 22 (4), 555–566.
  • Dishion, T. J., McCord, J. & Poulin, F. (1999). When interventions harm: Peer groups and problem behavior. American psychologist, 54 (9), 755.
  • Turner, G. & Shepherd, J. (1999). A method in search of a theory: peer education and health promotion. Health Education Research, 14 (2), 235–247.
  • Walker, S. A. & Avis, M. (1999). Common reasons why peer education fails. Journal of Adolescence, 22 (4), 573–577.
  • Kleiber, D. & Pforr, P. (1996). Peer-involvement. Ein Ansatz zur Prävention und Gesundheitsförderung von Jugendlichen für Jugendliche, Köln.
  • McKeganey, Steve Parkin, Neil. (2000). The rise and rise of peer education approaches. Drugs: education, prevention, and policy, 7 (3), 293–310.
  • Topping, K. & Ehly, S. (1998). Peer-assisted learning: Routledge.
  • Topping, K. J. (2007). Trends in peer learning. Educational psychology, 25 (6), 631–645.
  • Backes, H. & Lieb, C. (2003). Peer education. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden in der Gesundheitsförderung, 4, 176–179.
  • Heyer, R. (2010). Peer-Education – Ziele, Möglichkeiten und Grenzen. In M. Harring, O. Böhm-Kasper, C. Rohlfs & C. Palentien (Hrsg.), Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen (S. 407–421). VS Verlag für Sozialwissenschaften. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-92315-4_19