Beziehungsorientierte Pädagogik als Fundament der gesunden Schule

Ein Beitrag von Dr. Helga Breuninger und Josie Janneck im Blog der FINDER Akademie für Prävention und erfahrungsbasiertes Lernen.

Beziehungsorientierte Pädagogik als Fundament der gesunden Schule

Ein Beitrag von Dr. Helga Breuninger und Josie Janneck im Blog der FINDER Akademie für Prävention und erfahrungsbasiertes Lernen.

Kinder kommen in die Schule und wollen Beziehungen erleben. Sie wollen gesehen werden und dazugehören. Darin sind sich Bindungsforscher wie Karl-Heinz Brisch und Hirnforscher von Manfred Spitzer bis Gerald Hüther einig. Vor der Wissensvermittlung steht der Aufbau sozialer Gemeinschaften. Das gelingt Lehrkräften über eine beziehungsorientierte Pädagogik.
In diesem Blog beschreiben wir in drei Folgen beziehungsorientierte Pädagogik als Fundament der gesunden Schule.

Folge 1 Schule als Ort sozialer Gemeinschaft
Folge 2 Schulentwicklung: Teamgeist im Kollegium – Eltern als Partner der Schule
Folge 3 Coaching für überforderte und gestresste Lehrkräfte

Folge 1: Schule als Ort sozialer Gemeinschaften

Soziale Gemeinschaften erfüllen Grundbedürfnisse
Eine soziale Gemeinschaft entsteht, wenn Kinder als gleichwürdige Partner ernst genommen werden. Dann gelingt es, sie mit ihren Bedürfnissen und Potenzialen zu sehen und darauf einzugehen. Alle Menschen haben Grundbedürfnisse. Die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und das Gefühl, etwas wert zu sein, sind besonders wichtig. Eine soziale Gemeinschaft hilft, diese Grundbedürfnisse zu erfüllen. Mediziner haben erkannt, dass Erfahrungen der Ausgrenzung und Beschämung in die Krankheit führen.

Pädagogik ist Beziehungswissenschaft
Die Pädagogik hat sich nach den neueren Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie und der Neurowissenschaften als Beziehungswissenschaft weiterentwickelt.
Die wichtigste Erkenntnis: Die Kooperation mit Kindern, Kolleg*innen und Eltern lohnt sich!
Machtkämpfe gewinnen heute nicht nur Kinder und Jugendliche sondern auch Eltern und das macht Lehrkräfte krank.
Beziehungslernen ist eine Anleitung zur Kooperation und gesunderhaltenden Kommunikation. Das Ergebnis sind sichtbare und fühlbare Veränderungen der täglich stattfindenden Begegnungen im Schulgebäude, im Lehrerzimmer mit Kolleg*innen, mit Eltern, im Unterricht und in Einzelgesprächen mit Kindern und Jugendlichen.
Aus Begegnungen werden Beziehungen. Soziale Gemeinschaften entstehen, die Zugehörigkeit und Selbstvertrauen stärken.
Warum ist das so wichtig? Weil alles Lebendige In einem resonanten Kraftfeld kommunikativ verbunden ist. Diese Verbindung energetisiert, macht resilient und hält gesund!

Perfektionismus als Stressfaktor erkennen und überwinden
Perfektionismus nährt sich über die Illusion von Planbarkeit und Kontrolle. Wer seine Ziele erreicht, fühlt sich selbstwirksam und seinen Aufgaben gewachsen. Für viele Aufgaben, die man alleine bewältigen kann mag das eine sinnvolle Strategie sein. Sie eignet sich nicht für Gruppenprozesse wie den Schulunterricht. Eine Klasse lässt sich inspirieren, einladen und führen. Die sich aus den Interaktionen entwickelnde Gruppendynamik lässt sich steuern, aber weder exakt planen noch lernfördernd kontrollieren.
Einen „perfekten Stundenablauf“ zu planen und durchzusetzen mag einzelnen Lehrkräften gelingen, die über entsprechende Autorität und Akzeptanz verfügen. Dafür gibt es Methapern wie diese: Reitest Du den Tiger oder reitet er Dich? Aber selbst die Lehrkräfte, die den „Tiger reiten“ brauchen dafür viel Kraft und Energie.

Lehrkräfte, die vom „Tiger geritten werden“ genügen ihren eigenen Erwartungen nicht, zweifeln an ihrer Kompetenz und kommen innerlich unter Druck, auf das Geschehen einzuwirken und gegenzusteuern, obwohl sie sich das gar nicht zutrauen. Resignation, Versagens- und Ohnmachtsgefühle die Folgen. Diese negativen Erfahrungen erzeugen Stress, führen in den Teufelskreis sich selbsterfüllender Prophezeiungun, schwächen Schüler*innen und machen Lehrkräfte krank.

Die Macht des inneren Drehbuchs
Rigide Erwartungen an einen geplanten Stundenablauf wirken wie ein inneres Drehbuch. Kinder und Jugendliche sind aber keine Schauspieler*innen, die ein Rollenskript erfüllen. Deshalb verhalten sie sich auch nicht „drehbuchgerecht“. Alle Abweichungen vom inneren Drehbuch werden von den Lehrkräften bewertet und führen zu negativen Gefühlen wie Enttäuschung, Verärgerung oder Überforderung. Die Lehrkräfte fühlen sich unter Druck, das innere Drehbuch durchzusetzen. Nur dann erleben sie sich selbstwirksam und erfolgreich! Vom inneren Drehbuch können sie sich erst lösen, wenn sie erkennen, dass die meisten Probleme und damit der Stress durch ihre eigenen Erwartungen ausgelöst werden.

Zukunftskompetenz Flexibilität und Lösungsorientierung
Die größten Herausforderungen im Schulalltag sind Ungewissheit und Unplanbarkeit.
Soziale Situationen und Konflikte kommen immer unerwartet. Der souveräne Umgang mit ungeplanten, unerwarteten Situationen ist eine Zukunftskompetenz, die im Beziehungslernen systematisch trainiert wird. Der Fachbegriff dafür heißt „situierte Kreativität“. Sie gelingt aus einer beziehungsorientierten Grundhaltung heraus.

Beziehungsorientierte Grundhaltung
Diese Grundhaltung ist lernbar. Es geht darum, im Kontakt zu bleiben und lösungsorientiert zu agieren. Wer akzeptiert was ist, bleibt im Kontakt und erspart sich negative Gefühle wie Ärger, Enttäuschung oder Empörung. Die negativen Gefühle ziehen die Aufmerksamkeit nach innen und schwächen den Kontakt mit dem Außen mit der Folge, dass man sich ohnmächtig ausgeliefert fühlt. Rettungssanitäter haben gelernt, diesen Impuls in Krisensituationen zu überwinden. Wenn sie akzeptieren, was ist, bleiben sie handlungsfähig und lösungsorientiert. Statt zu bewerten, verstehen sie intuitiv was geschieht, erfassen die Bedürfnisse und erkennen Potenziale, die sie nutzen können.

Der Königsweg zur gesunden Schule
Lehrkräfte können und müssen lernen, Bewertungen für soziale Prozesse außer Kraft zu setzen, um handlungsfähig zu bleiben. Mit der Grundhaltung resonanter Beziehungen bleiben sie in Verbindung mit der Klasse, erfassen intuitiv wichtige Informationen und können situiert kreativ handeln. Die Lösungsorientierung braucht den Potenzialblick. Darüber erkennt man die Ressourcen, die man für Lösungen kreativ nutzen kann.
Wenn es Lehrkräften gelingt, empathisch Bedürfnisse zu erfassen, bleiben sie im Lösungsmodus. Im Konflikt hilft die Frage an betroffene Kinder und Jugendliche: „Was brauchst Du jetzt?“. Mit dieser Frage aktiviert die Lehrkraft die Selbstverantwortung von Kindern und Jugendlichen und beteiligt sie an Lösungen, die an ihren Bedürfnissen ansetzen.

Selbstfürsorge
Lehrkräfte können lernen, für sich selbst zu sorgen. Nur wer gut für selbst sorgt, kann beziehungsorientiert für andere sorgen. Jede Selbstfürsorge setzt an der Bedürfniserkennung an: „Was brauche ich jetzt?“ ist das Gesundheitsprinzip.
Wer seine Bedürfnisse längerfristig negiert und übergeht landet in der gesundheits-schädigenden Überforderungsspirale und „besänftigt“ oder betäubt sich. Schlafstörungen, Gehetzt-sein und ständige Unzufriedenheit sind die Folge.
Die Akzeptanz ihrer Bedürfnisse befreit Lehrkräfte aus der Leistungsspirale und der Perfektionismusfalle. Bedürfnisse müssen nicht gerechtfertigt werden, sie dürfen sein und können verhandelt werden. Wenn es einen guten Kompromiss gibt, geht es allen gut, weil jeder in seinen Bedürfnissen gesehen und ernst genommen wird.

Akzeptanz und Potenzialblick im Alltag verankern
Akzeptanz und Potenzialblick sind die Eckpfeiler des Beziehungslernens.
Wer im Problemblick arbeitet und sich über negative Bewertungen und negative Zuschreibungen schwächt, wird krank.
Wer akzeptiert was kommt und in schwierigen Situationen proaktiv im Potenzialblick bleibt, steckt andere an und beteiligt sie an Lösungen. Dann fühlen sich alle zugehörig und gebunden. Gemeinsame Lösungen stärken das Vertrauen in die soziale Gemeinschaft. Die Lösung führt zu Entspannung und Erleichterung. Die Hoffnung auf eine gelingende Zukunft wird gestärkt.
Die gesundheitserhaltende Funktion der Akzeptanz und die energiespendende Kraft des Potenzialblicks können über Symbole oder Reminder im täglichen Leben verankert werden. Akzeptanz und Potenzialblick führen aus einem Erleben des Mangels in ein Leben aus der Fülle.