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Peer-Involvement als pädagogisches Konzept (Teil 2): Konzeptuelle Formen

Fortsetzung der Serie zu Peer-Involvement. Teil I: Peer-Involvement als pädagogisches Konzept – Geschichte

Peer-Education

Peer-Education bezeichnet ein im angelsächsischen Raum erstmals wissenschaftlich aufgegriffenes pädagogisches Konzept, bei dem weitergebildete Laien als „Peer-Educators“ Wissen und Fertigkeiten zur Modifikation von Verhaltensweisen gemäß spezifizierter Programmziele in zumeist nicht-formalen Lernumgebungen vermitteln, wobei der Ansatz insbesondere im Bereich der Gesundheits- und Sexualerziehung Anwendung findet (Heyer, 2010).
Shiner (1999, S. 557) kritisiert die definitorische Unschärfe, welche den Begriff umgibt, “it (…) can most appropriately be viewed as an umbrella term used to describe a range of interventions (…)”. Trotz Beiträgen zur Klärung der zentralen Begriffe (Shiner, 1999; Turner & Shepherd, 1999) ist die empirische Absicherung der Wirksamkeit aus Sicht der Kritiker noch nicht ausreichend gegeben (McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000) und die Notwendigkeit der Erhellung zugrundeliegender Wirkmechanismen wurde angemahnt (u.a. Appel & Kleiber, 2003).
Wie auch für die nachfolgend ausgeführten Peer-Ansätze zeichnen sich zwei Argumentationsstränge zur theoretischen Fundierung des Ansatzes ab. Die (1) entwicklungspsychologischen Theoretiker betonen die Funktion der Peer Interaktion bei der Bewältigung adoleszenztypischer Entwicklungsaufgaben, während aus (2) sozialpsychologischer Perspektive die Sozial-kognitive Lerntheorie und das Modelllernen (Bandura, 1979; Bandura & Kober, 1976) die sozialisatorische Funktion der Bezugsgruppe betonen. Kahr weist darauf hin, dass das wichtigste Element von Peer-Education die Beziehungsgestaltung ist: „Peer-Education lebt von Beziehung – Beziehung der Jugendlichen untereinander, Beziehung zu Erwachsenen, unterschiedlichen Rollen…“ (Kahr, 2003).
Hinsichtlich der Programmwirkungen lassen sich (1) Wirkungen auf die „Peer Educators“ und (2) Wirkungen auf die Zielgruppe als zwei grundlegende Dimensionen unterscheiden, wobei der statistische Nachweis von Wirkungen auf die Zielgruppe mit erheblichem Aufwand verbunden ist (McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000). Diese zwei Dimensionen lassen sich als Folie zur Einschätzung aller Peer-Involvement Ansätze verwenden.
Appel und Kleiber (2003) konnten im Rahmen der Begleitevaluation des Modellprojekts „Peer education zu Liebe, Sexualität und Schwangerschaftsverhütung“ in Bezug auf die Peer-Multiplikatoren eine Zunahme an Wissen, wahrgenommener Kommunikationskompetenz, Selbstwertgefühl und des Selbstvertrauens im sexuellen Bereich nachweisen. Hinsichtlich der Adressaten (Schülerinnen und Schüler aller Schulformen im Alter von 12-17 Jahren) konnte in Abhängigkeit der Schulform eine signifikante Steigerung der Kommunikation über das Thema, bei Gesamtschülern ein verbessertes Verhütungsverhalten und bei Gymnasial- und Gesamtschülern der Bekanntheitsgrad von Beratungsstellen gesteigert werden.
Walker und Avis (1999) weisen in ihrem Review auf die Bedingungen des Scheiterns von Peer-Education Programmen hin. Das Fehlen von klar definierten Zielen, Wirksamkeitsindikatoren sowie Inkonsistenzen zwischen Konzeption und Umweltbedingungen sind häufige Fehlerquellen.

Peer-Tutoring

Peer-Tutoring bezeichnete ursprünglich ein System der linearen Vermittlung curricularer Bildungsinhalte im Dreischritt von Lehrendem über Tutor zu Tutee (Topping, 1996; Topping, 2007). Im deutschen Sprachraum besser bekannt ohne den Zusatz „Peer“, sind Tutorien etablierter Bestandteil des schulischen und universitären Bildungssystems. Das aus dem lateinischen stammende Wort „tutor“ bedeutet „Vormund“ bzw. „Beschützer“ und bezeichnet in diesem Kontext zumeist eine hierarchisch gleichgestellte Person, die ergänzend oder zur Wiederholung unterrichtet.
Topping (1996) konnte in seinem Review zeigen, dass die verschiedenen Peer-Tutoring Ansätze wirksam sind und ein günstiges Kosten-Nutzen Verhältnis aufweisen.
Schwerpunkt und Anwendungsbereich des Peer-Tutoring haben sich in den letzten drei Jahrzehnten gewandelt und vergrößert: Soziale und emotionale Programmwirkungen sind nun von ebenso großem Interesse wie kognitive Effekte (Topping, 2007). Topping (2007, S. 631) attestiert zudem eine für den Inklusionsdiskurs erfreuliche Entwicklung: “Engagement in helping now often encompasses all community members, including those with special needs.“, wenngleich Büttner, Warwas und Adl-Amini (2012) mit Blick auf schulische Inklusion auf die Notwendigkeit weiterer Forschung zum Einsatz dieser Methode hinweisen.

Peer-Counseling

Der formalisierte Peer-Counseling Ansatz entstammt historisch gesehen der Suche nach neuen methodischen Ansätzen in der Suchtprävention und kann als Weiterentwicklung des Peer-Tutoring betrachtet werden. Es geht dabei um die „Beratung durch Menschen, die in ihrem Leben vergleichbaren Problemstrukturen ausgesetzt sind oder in der Vergangenheit ausgesetzt waren“ (Wienstroer, 1999, S. 165), um bei der Klärung ebendieser psychosozialen Herausforderungen zu unterstützen und potentielle Lösungswege aufzuzeigen (Topping & Ehly, 1998). Beratungsgespräche finden entweder bilateral oder in Gruppen statt, werden auf Abruf (teilweise auch über Telefon; Internet) angeboten oder sind fester Bestandteil curricularer Programme. Eignungskriterien für Peer-Berater sind nicht übergreifend standardisiert oder zwingend an Qualitätsstandards ausgerichtet. Die Bedeutung guter Ausbildung und Betreuung ist ostensiv, wird jedoch ebenso wie die Eignungsfeststellung sehr unterschiedlich gehandhabt. Peer-Counseling wird im Rahmen vieler gesundheitsbezogener Programme eingesetzt. In der Literatur sind zahlreiche Ansätze beschrieben (z.B. Anderson, Damio, Young, Chapman & Pérez-Escamilla, 2005; Giese‐Davis et al., 2006; Malchodi et al., 2003), in der Summe jedoch nicht umfassend evaluiert worden.
Oster (1983) beschreibt eine Intervention zur Prävention des Missbrauchs von Alkohol und anderen Drogen an einer US-amerikanischen High-School. Im Verlauf von neun Wochen wurden begleitend zu einem Kurs zur Problemlösefähigkeit und schulweiter Sensibilisierung für das Thema Substanzmissbrauch Beratungsgespräche durch weitergebildete Schüler durchgeführt. Die Studie deutet an, was im Verlauf der Jahrzehnte ausdifferenziert, theoretisiert und adressiert wurde: Einerseits sind im Kontext schulischer Suchtprävention auch unter Zuhilfenahme von Beratern aus der Bezugsgruppe selten signifikante Verhaltensänderungen in direkter Folge der Intervention zu erwarten (Cuijpers, 2003), andererseits bedeutet die intensive Förderung einzelner Schüler mit dem Ziel der Verantwortungsübernahme in ihrer Peer-Group einen von den Primärzielen der hier skizzierten Intervention abweichenden, aber für die Peer-Counselors fruchtbaren Prozess, da zahlreiche Impulse zur Kompetenzentwicklung und Identitätsfindung gegeben werden.

Peer-Mentoring

Peer-Mentoring bedeutet die Weitergabe von Wissen und Erfahrung durch Mentoren an Personen, die ihnen in Bezug auf ein Programmziel oder einen zu fördernden Aspekt gleichgestellt sind (Mentees). Ziegler (2009, S. 5) definiert Mentoring in einer Synthese bisheriger Definitionsversuche „(…) als zeitlich stabile dyadische Beziehung zwischen einem erfahrenen Mentor/in und einem weniger erfahrenen Mentee (…) mit dem Ziel der Förderung des Lernens, der Entwicklung sowie des Vorankommen des/der Mentees.“
Da Peer-Mentoren der Zielgruppe nahe stehen, sind sie als Modelle und Projektionsfläche wichtige Sozialisationsinstanzen (Schunk & Hanson, 1989). Peer-Mentoring ist aber keineswegs nur für die Adressatengruppe ein interessanter und zuträglicher Ansatz. Auch für die Mentoren selbst gibt es potentiell zahlreiche Impulse zur Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung.
Die förderliche Rolle gelungener Mentorenbeziehungen ist nicht nur durch das ihm zugrundeliegende Vorbild aus der griechischen Mythologie bekannt. Auch im Alltagserleben spielen überdauernde unterstützende Beziehungen eine zentrale Rolle, die sich in institutionalisierter Form zum Beispiel im Lehrling-Meister Verhältnis wiederspiegelt. Die Wirksamkeit des Mentoring-Ansatzes wurde durch biographische Studien in hunderten von Einzelfällen eindrucksvoll fundiert (Merriam, 1983; Roch, 1978; Vaillant, 1977). Wie auch bei den zuvor dargestellten Peer-Ansätzen gibt es nicht „das Mentoring, sondern viele verschiedene, die in unterschiedlichen Disziplinen in mannigfachen Formen mit jeweils spezifischen Zielsetzungen durchgeführt werden“ (Ziegler, 2009). Das gilt auch für die Wirksamkeit: „Mentoring kann zwar hoch effektiv sein, in der Tat sogar die effektivste pädagogische Maßnahme, doch ist die Effektstärke aufgrund verschiedener Umsetzungsmängel typischerweise niedrig bis moderat (ebd., S.18)“.

Teil 3 dieser Serie widmet sich dem Forschungsstand zur Wirksamkeit von Peer-Involvement-Ansätzen.

Literatur:
  • Heyer, R. (2010). Peer-Education – Ziele, Möglichkeiten und Grenzen. In M. Harring, O. Böhm-Kasper, C. Rohlfs & C. Palentien (Hrsg.), Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen (S. 407–421). VS Verlag für Sozialwissenschaften. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-92315-4_19
  • Shiner, M. (1999). Defining peer education. Journal of Adolescence, 22 (4), 555–566.
  • Turner, G. & Shepherd, J. (1999). A method in search of a theory: peer education and health promotion. Health Education Research, 14 (2), 235–247.
  • McKeganey, Steve Parkin, Neil. (2000). The rise and rise of peer education approaches. Drugs: education, prevention, and policy, 7 (3), 293–310.
  • Appel, E. & Kleiber, D. (2003). Auswirkungen eines Peer-Education-Programms zu Liebe, Sexualität und Schwangerschaftsverhütung auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Adressatinnen und Adressaten. In M. Nörber (Hrsg.), Peer Education
  • Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie: Klett-Cotta.
  • Bandura, A. & Kober, H. (1976). Lernen am modell: Klett Stuttgart.
  • Kahr, C. (2003). Orientierungspunkte für Peer-Education-Projekte. Nörber, Martin (Hg.). Peer Education. Bildung und Erziehung von Gleichaltrigen durch Gleichaltrige, 50–64
  • Walker, S. A. & Avis, M. (1999). Common reasons why peer education fails. Journal of Adolescence, 22 (4), 573–577.
  • Topping, K. J. (1996). The effectiveness of peer tutoring in further and higher education: A typology and review of the literature. Higher Education, 32 (3), 321–345. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/BF00138870
  • Topping, K. J. (2007). Trends in peer learning. Educational psychology, 25 (6), 631–645.
  • Büttner, G., Warwas, J. & Adl-Amini, K. (2012). Kooperatives lernen und peer tutoring im inklusiven unterricht. Zeitschrift für Inklusion (1-2).
  • Wienstroer, G. N. (1999). Peer Counselling. Das neue Arbeitsprinzip emanzipatorischer Behindertenarbeit. Günther, Peter & Eckhard Rohrmann (Hg.): Soziale Selbsthilfe. Alternative, Ergänzung oder Methode sozialer Arbeit, 165–180.
  • Topping, K. & Ehly, S. (1998). Peer-assisted learning: Routledge.
  • Anderson, A. K., Damio, G., Young, S., Chapman, D. J. & Pérez-Escamilla, R. (2005). A randomized trial assessing the efficacy of peer counseling on exclusive breastfeeding in a predominantly Latina low-income community. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 159 (9), 836–841.
  • Giese‐Davis, J., Bliss‐Isberg, C., Carson, K., Star, P., Donaghy, J., Cordova, M. J. et al. (2006). The effect of peer counseling on quality of life following diagnosis of breast cancer: an observational study. Psycho‐Oncology, 15 (11), 1014–1022.
  • Malchodi, C. S., Oncken, C., Dornelas, E. A., Caramanica, L., Gregonis, E. & Curry, S. L. (2003). The effects of peer counseling on smoking cessation and reduction. Obstetrics & Gynecology, 101 (3), 504–510.
  • Oster, R. A. (1983). Peer counseling: Drug and alcohol abuse prevention. Journal of Primary Prevention, 3 (3), 188–199.
  • Cuijpers, P. (2003). Three Decades of Drug Prevention Research. Drugs: education, prevention, and policy, 10 (1), 7–20.
  • Ziegler, A. (2009). Mentoring: Konzeptuelle Grundlagen und Wirksamkeitsanalyse. In H. Stöger, A. Ziegler & D. Schimke (Hrsg.), Mentoring: theoretische Hintergründe, empirische Befunde und praktische Anwendungen. Pabst Science Publishers.
  • Schunk, D. H. & Hanson, A. R. (1989). Influence of peer-model attributes on children’s beliefs and learning. Journal of Educational Psychology, 81 (3), 431.
  • Merriam, S. (1983). Mentors and protégés: A critical review of the literature. Adult Education Quarterly, 33 (3), 161–173.
  • Roch, G. R. (1978). Much ado about mentors. Harvard business review, 57 (1), 14–20.
  • Vaillant, G. E. (1977). Adaptation to life: Harvard University Press.