Welches Wissen und welche Methoden brauchen Präventionsfachkräfte, um in der Praxis effektiv und nachhaltig tätig zu sein?

Ein Einblick in die Arbeit an „Frontline Politeia“, dem europäischen Qualifizierungsprogramm für (angehende) Präventionsfachkräfte

Sophia Alt im Interview mit Vivien Voit

Welches Wissen und welche Methoden brauchen Präventionsfachkräfte, um in der Praxis effektiv und nachhaltig tätig zu sein?

Ein Einblick in die Arbeit an „Frontline Politeia“, dem europäischen Qualifizierungsprogramm für (angehende) Präventionsfachkräfte

Sophia Alt im Interview mit Vivien Voit

Seit Januar 2022 arbeitet Vivien Voit gemeinsam mit Partnern aus 13 EU-Ländern an „Frontline Politeia“. Ziel des von der europäischen Kommission kofinanzierten Projektes ist die Entwicklung eines Ausbildungscurriculums für (angehende) Fachkräfte der Prävention und Gesundheitsförderung. Im Interview mit Sophia Alt erklärt Vivien Voit mehr über Hintergrund und Aufbau des Projektes und die Herausforderungen internationaler Zusammenarbeit.

SA: Sehr geehrte Frau Voit. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview nehmen. Können Sie mehr darüber erzählen, wie es zu dem Projekt „Frontline Politeia“ kam?

VV: Sehr gerne. Die Idee zu „Frontline Politeia“ ist aus der Anerkennung dessen entstanden, dass es innerhalb der EU keine einheitlich festgelegten Voraussetzungen gibt, welche Qualifizierung eine Person mitbringen muss, um als Präventionsfachkraft tätig zu werden. Oft kommen Präventionsfachkräfte ursprünglich aus der Sozialen Arbeit, Psychologie oder aber bringen einen ganz anderen beruflichen Hintergrund mit. So sind beispielsweise auch Polizist:innen häufig für präventiven Aufgaben zuständig.
Es gibt dann zwar einzelne Fortbildungen für spezifische Präventionsbereiche wie Sucht oder Gewalt, aber kein einheitliches Qualifizierungsprogramm, in dem universelle Grundlagen der Prävention und methodisches Wissen für die Zusammenarbeit mit Menschen vermittelt werden.
Ziel von „Frontline Politeia“ ist die Entwicklung eines solches Qualifizierungsprogramms für Präventionspraktiker:innen. Durch die Vermittlung einer gemeinsamen Sprache und Basis sollen Brücken für wirkungsvolle Zusammenarbeit von Präventionsfachkräften aus verschiedenen Bereichen entstehen.

SA: Wie ist das Qualifizierungsprogramm aufgebaut?

VV: Arbeitsgrundlage für uns ist die Frage: Welches Wissen und welche Kompetenzen brauchen Präventionspraktiker:innen, um effektiv und nachhaltig tätig zu sein? Ausgehend davon entwickeln wir ein hybrides Ausbildungscurriculum, bestehend aus einem Kerncurriculum und einem veriefenden e-Learning Training.
Im Kerncurriculum wird den Teilnehmenden grundlegendes Präventionswissen wie beispielsweise das Risiko- und Schutzfaktorenmodell vermittelt. Das darauf aufbauende e-Learning Training, ermöglicht es den Teilnehmenden sowohl ihr Fachwissen als auch ihre Methodenkompetenz individuell und bedarfsgerecht zu vertiefen sich mit anderen Präventionspraktiker:innen aus ganz Europa auszutauschen.
Wichtig für uns ist dabei immer: Wie können wissenschaftliche Erkenntnisse so aufbereitet werden, dass sie in der Praxis nützlich und anwendbar sind und zu einer weiteren Professionalisierung der Prävention und Gesundheitsförderung führen kann?

SA: Warum ist Ihnen die Vermittlung dieses grundlegenden Präventionswissens so wichtig?

VV: Die Faktoren, die sich fördernd oder belastend auf die Entwicklung und Gesundheit von Menschen auswirken, sind universell. Die Unterscheidung in spezifische Präventionsbereiche wie Sucht- oder Gewaltprävention ist daher nicht zwingend erforderlich. Schutzfaktoren sind zum Beispiel enge soziale Bindungen und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Als Risikofaktoren gelten unter anderem Konflikte in der Familie oder ein Umfeld, in dem Substanzen leicht verfügbar sind. Ausgeprägte Risikofaktoren begünstigen die Entwicklung von verschiedenen Problemverhaltensweisen, wie Gewalt, Depressionen und Substanzmissbrauch. Schutzfaktoren hingegen fördern ganz allgemein die Resilienz. Wenn ein gemeinsames Verständnis dafür entsteht, wie diese Faktoren zusammenwirken und gezielt und auf mehreren Ebenen vermindert oder verstärkt werden können, wird wirkungsvolle Zusammenarbeit über verschieden Präventionsbereiche hinaus möglich.

SA: Und welche Methoden brauchen Präventionsfachkräfte ihrer Meinung nach, um auf die Bedarfe ihrer Zielgruppe eingehen zu können?

VV: Bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis ist es wichtig sich bewusst zu machen, dass es in der präventiven Arbeit nicht um reine Wissensvermittlung geht, sondern darum den Menschen ganzheitlich zu betrachten.  Dazu gehört beispielsweise auch zu berücksichtigen, wie wir Menschen lernen. Daher erweitern Teilnehmende im methodischen Teil des Qualifizierungsprogramms u.a. Soft Skills wie die eigene Kommunikations- & Moderationsfähigkeit. Aber auch die Reflektion der eigenen Rolle und Haltung spielt eine wichtige Rolle. Uns ist wichtig zu vermitteln: Die vermeintlichen Problemverhaltensweisen müssen in der präventiven Arbeit nicht in den Vordergrund gestellt werden, um präventiv zu arbeiten.

SA: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit vielen internationalen Partnern?

VV: Bei vielen Partnern kann es herausfordernd sein, sich nicht im Detail und der Vielzahl an Perspektiven zu verlieren. Gleichzeitig ist es auch eine Bereicherung aus einem vielfältigen Wissens- und Erfahrungsschatz schöpfen zu können, und sich dabei immer wieder auf den Kern zu besinnen: Der flächendeckenden und nachhaltigen Umsetzung guter, wissenschaftsbasierter Prävention.

SA: Vielen Dank für das Gespräch!