Jeden Morgen an der Klassentür persönlich begrüßt zu werden – diese simple Geste hat eine erstaunliche Wirkung auf Schulkinder. Was auf den ersten Blick als kleine Aufmerksamkeit erscheint, entfaltet sich als kraftvolles Instrument für einen gelungenen Schulstart. Im Gespräch mit Katja Sen, Klassenlehrerin an der Grundschule Lütjensee seit 2018, erfahren wir, wie diese Methode den Schulalltag bereichert.
Von der Inspiration zur Umsetzung
„Die Inspiration kam durch Social-Media-Videos aus Amerika“, erinnert sich Katja Sen. „Was mich sofort begeisterte, war der Gedanke, jedes Kind bewusst und individuell wahrzunehmen – ganz anders als bei der klassischen Gruppenbegrüßung im Klassenraum.“
Bereits vor der Einführung der Türbegrüßung experimentierte Frau Sen mit einem „offenen Eingang“: Die Schülerinnen und Schüler konnten innerhalb einer 15-minütigen Zeitspanne ankommen und bei Bedarf ein Gespräch mit ihr suchen. „Schon damals wurde deutlich, wie positiv sich eine persönliche Begrüßung auf die Stimmung der Kinder auswirkt“, berichtet die Pädagogin.
Doch diese Methode hatte ihre Tücken: „Ich stellte fest, dass hauptsächlich die gleichen Kinder, eher extrovertierteren und lauteren, von diesem Format profitierten. Die stilleren Schülerinnen und Schüler, die eigentlich genauso sehr Aufmerksamkeit und Bestätigung brauchen, traten dabei oft in den Hintergrund.“ Die neue Begrüßungsmethode an der Tür löst dieses Problem elegant: Hier wird ausnahmslos jedes Kind persönlich willkommen geheißen und erfährt damit die gleiche Wertschätzung.
Die praktische Umsetzung im Schulalltag
„Am Türrahmen hängen verschiedene Symbole für unterschiedliche Begrüßungsarten“, erklärt Katja Sen ihre konkrete Vorgehensweise. „Die Kinder können zwischen High-Five, Faustgruß, Winken oder einer Umarmung wählen.“ Diese Auswahlmöglichkeit hat einen tieferen pädagogischen Wert: Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren.
Das Ritual fördert zudem grundlegende soziale Kompetenzen. „Wir üben beispielsweise den Blickkontakt bei der Begrüßung und die bewusste, achtsame Wahrnehmung des Gegenübers“, betont Frau Sen. „Das ist ein gegenseitiger Prozess – die Kinder lernen, auch mich als Lehrerin bewusst wahrzunehmen und zu begrüßen.“
Kurze Gespräche mit großer Wirkung
Trotz der zeitlichen Begrenzung bietet die morgendliche Begrüßung Raum für wichtige Mitteilungen: Ein ausgefallener Wackelzahn oder ein verpasstes Frühstück finden hier ihren Platz. „Diese kurzen Momente des Zuhörens und der Anteilnahme sind unglaublich wertvoll“, berichtet Frau Sen. „Wenn ein Kind seine Geschichte erzählen konnte, fällt es ihm später leichter, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Man merkt das direkt an der ruhigeren Atmosphäre im Klassenraum.“
Zeitmanagement und Organisation
Die gesamte Begrüßungszeit beträgt zwischen fünf und zehn Minuten. Da sich die Kinder beim Umziehen unterschiedlich viel Zeit lassen, entsteht selten eine Warteschlange – sie kommen meist nacheinander an der Tür an.
Für einen reibungslosen Ablauf hat Frau Sen ein durchdachtes System entwickelt: „Sobald die Kinder den Klassenraum betreten, beginnen sie mit vorbereiteten Aufgaben, die bereits an der Tafel stehen.“ Diese Vorgehensweise fördert nicht nur die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler, sondern ermöglicht auch eine effiziente Nutzung der Begrüßungszeit, ohne dass wertvolle Unterrichtszeit verloren geht.
Positive Auswirkungen auf das Klassenklima
Die Effekte der morgendlichen Begrüßung gehen weit über den ersten Kontakt hinaus. „Die Atmosphäre in der Klasse ist spürbar ruhiger und achtsamer geworden“, berichtet Katja Sen. Besonders bemerkenswert: Die Schülerinnen und Schüler übernehmen die respektvolle Begrüßungskultur auch in ihre eigenen Interaktionen.
Ein weiterer positiver Effekt zeigt sich im Umgang mit Konflikten. Katja Sen schildert ein typisches Beispiel: „Wenn ein Kind bei der Begrüßung sagt ‚Tobi hat mich gerade geschubst‘, kann ich sofort reagieren: Ach Mensch, das war bestimmt doof. Hast du ihm gesagt, dass du das nicht gut fandest?'“ Sie ermutigt die Kinder dann, ihre Gefühle direkt zu kommunizieren: „Geh doch mal hin und sag ihm, dass du dir wünschst, dass er mehr aufpasst.“ Diese unmittelbare Konfliktlösung verhindert, dass aus kleinen Reibereien größere Streitigkeiten entstehen.
„Langfristig“, ist Frau Sen überzeugt, „entwickeln die Kinder durch dieses tägliche Ritual bessere soziale Fähigkeiten und einen respektvolleren Umgang miteinander.“
Anfängliche Bedenken und positive Resonanz
Wie bei vielen Neuerungen gab es auch hier zunächst Vorbehalte. „Ich machte mir anfangs Sorgen um den Zeitaufwand“, gibt Frau Sen zu. „Aber die Praxis zeigt: Diese Zeit ist gut investiert, weil sie sowohl das Lernen als auch die Klassengemeinschaft fördert.“
Die Resonanz ist durchweg positiv: Die Kinder nehmen das Ritual begeistert an, und auch die Eltern schätzen die individuelle Zuwendung. „Sie berichten, dass ihre Kinder motivierter und fröhlicher in den Schulalltag starten“, freut sich die Pädagogin.
Übertragbarkeit auf andere Schulformen
Frau Sen ist überzeugt von der Flexibilität ihrer Methode: „Das Konzept lässt sich problemlos auch mit älteren Kindern und Jugendlichen umsetzen.“ Ihr Rat an interessierte Kolleginnen und Kollegen: „Passen Sie die Methode an Ihre spezifischen Bedingungen an und beziehen Sie die Schülerinnen und Schüler aktiv ein, zum Beispiel bei der Auswahl der Begrüßungsformen.“
Fazit: Kleine Geste, große Wirkung
Das Beispiel von Katja Sen an der Grundschule Lütjensee zeigt eindrucksvoll: Manchmal sind es die kleinen Veränderungen im Schulalltag, die Großes bewirken. Die morgendliche Begrüßung an der Klassentür hat sich als wirksames Instrument erwiesen, um:
- das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu steigern
- ein positives Lernklima zu schaffen
- soziale Kompetenzen zu fördern
- Konflikte frühzeitig zu entschärfen
Die Methode der positiven Begrüßung verbindet dabei pädagogische Professionalität mit menschlicher Wärme und schafft so beste Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen.
Praktische Umsetzungshilfen
Möchten Sie die positive Begrüßung in Ihrer Klasse einführen? Hier einige konkrete Tipps für den Start:
- Gestalten Sie Begrüßungssymbole für verschiedene Begrüßungsarten wie High-Five, Faustgruß oder Winken
- Bringen Sie die Symbole gut sichtbar am Türrahmen an
- Führen Sie das Ritual schrittweise ein und lassen Sie die Kinder mitentscheiden
- Planen Sie anfangs etwas mehr Zeit ein, bis sich die Routine eingespielt hat
Eine Vorlage für Begrüßungssymbole finden Sie → hier.
Weitere wissenschaftlich geprüfte und praxiserprobte Methoden zur Stärkung des prosozialen Verhaltens in der Schule finden Sie in unserer Broschüre „Einfach wirksam“.