Ein Interview mit Katharina Schlumm, Rektorin der Dr. Hugo Rosenthal Oberschule in Hohen Neuendorf, über ihre Erfahrungen mit dem schulweiten Handyverbot, das seit 2023 umgesetzt wird.
Frau Schlumm, an Ihrer Schule gibt es seit dem Schuljahr 2023/24 ein striktes Handyverbot. Wie kam es dazu?
Katharina Schlumm: Das stimmt, wir sind jetzt im zweiten Jahr der Umsetzung. Zuvor hatten wir schon längere Zeit ein teilweises Verbot – private Smartphones waren im Schulhaus und im Anbau untersagt, durften aber auf dem Schulhof genutzt werden. Bei Verstößen zogen wir das Gerät ein und bewahrten es im Safe des Sekretariats auf, bis ein Elternteil es abholen konnte. Diese Regelung führte zwar manchmal zu Diskussionen mit Eltern, bewährte sich aber in den meisten Fällen.
Was gab den Ausschlag für die Einführung eines kompletten Verbots?
Katharina Schlumm: Den entscheidenden Impuls gab ein Amokalarm im Frühjahr 2023. In dieser Ausnahmesituation konnte niemand in den Klassenräumen verhindern, dass die Jugendlichen ihre privaten Handys herausholten und Aufnahmen der Polizei und anderer Personen auf dem Schulhof machten. Einige riefen ihre Eltern an, die dann vor Ort in das Geschehen eingreifen wollten und die Lage noch komplizierter machten. Fotos und Videos wurden unerlaubt ins Netz gestellt, obwohl alle die Datenschutzregeln kannten. In dieser Extremsituation galt plötzlich nichts mehr von dem, was wir zuvor besprochen hatten.
Wie lief der Entscheidungsprozess für das Verbot ab?
Katharina Schlumm: Glücklicherweise gab es keine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit unserer Jugendlichen und Lehrkräfte. Aber am Folgetag hat das Kollegium mit Unterstützung des mobilen Krisenteams des Landkreises und unseres schulinternen Krisenteams die Geschehnisse gründlich aufgearbeitet. Dabei wurde die Idee eines vollständigen Verbots wieder aufgegriffen. Nach diesen Erlebnissen gab es eine große Mehrheit im Kollegium dafür.
Bis zur nächsten Lehrerkonferenz, an der auch beratende Mitglieder der Eltern- und Schülerkonferenz teilnehmen, hatte unser Krisenteam alle notwendigen Schritte für die Umsetzung zusammengetragen. Das Verbot war letztlich eine Konsequenz aus diesem Ereignis. Die Mehrheit der Mitglieder der Schulkonferenz, dem höchsten Gremium der Schule, stimmte zu, sodass es im Schuljahr 2023/24 umgesetzt werden konnte.
Wie funktioniert das Handyverbot in der Praxis?
Katharina Schlumm: Der Schulträger war bereit, die Kosten für die Anschaffung von Handysafes in allen Klassenräumen zu tragen. Jede Klasse hat seit dem Schuljahr 2023/24 einen festen Klassenraum, in dem die Mehrheit aller Fächer unterrichtet wird. Die Lehrkräfte kommen jetzt mehrheitlich zu den Klassen. Die Klassen verlassen ihren Raum nur für Sport und die Naturwissenschaften.
Morgens treffen sich alle Klassen zunächst in ihren Räumen, um das private Handy in den abschließbaren Safe zu legen. Dort bleibt es bis zum Ende des jeweiligen Schultages. Damit haben die Schülerinnen und Schüler ihr Handy zwar auf dem Schulweg, aber nicht mehr während des Unterrichts oder in den Pausen zur Verfügung.
Spielten medienpädagogische Überlegungen bei der Entscheidung eine Rolle?
Katharina Schlumm: Tatsächlich nicht. Im Unterricht wird fast täglich mit den Geräten unseres Schulträgers gelernt – Computern, Laptops und iPads. Auch wissenschaftliche Studien spielten nur im Hintergrund eine untergeordnete Rolle. Vorrangig waren unsere täglichen Beobachtungen im Schulalltag.
Eine spezielle pädagogische Begleitung war weder gewünscht noch nötig. Wenn wir im Unterricht den Umgang mit dem Smartphone üben wollen, kündigen wir das vorher an, weil etliche Schülerinnen und Schüler ihr Handy inzwischen gar nicht mehr täglich mitbringen. Für diese Unterrichtsstunde dürfen sie ihr Handy dann aus dem Safe nehmen.
Welche Veränderungen haben Sie seit der Einführung des Verbots beobachtet?
Katharina Schlumm: Die Handybefreiung hat sich erheblich auf das Pausen- und Sozialverhalten ausgewirkt. Die Jugendlichen sind auf dem Schulhof aktiver und nutzen die angeschafften Schulhofspiele gern. Auch im Offenen Treff der Schulsozialarbeiterin wird noch mehr gespielt als in den Vorjahren, insbesondere schnelle Pausenspiele wie verschiedene Varianten von Uno, Stadt-Land-Fluss oder Dobble.
Die Gesprächskultur hat sich deutlich verbessert, die gesamte Atmosphäre ist entspannter. Mobbingvorfälle haben signifikant nachgelassen, es gibt weniger Sachbeschädigungen, die Jugendlichen gehen anders miteinander um. Es wird entspannter und mehr miteinander geredet und agiert. Diese Beobachtungen machen wir nicht nur in den Pausen, sondern auch im Unterricht. Die Atmosphäre ist insgesamt zugewandter, freundlicher und höflicher – sowohl unter den Jugendlichen als auch gegenüber den Erwachsenen.
Und wie wirkt sich das Verbot auf den Unterricht aus?
Katharina Schlumm: Die Konzentration auf das Unterrichtsgeschehen hat sich selbstverständlich erhöht, da die Ablenkung durch das Handy wegfällt. Besonders beachtlich ist auch die Eindämmung der Suchtgefahr durch zu starke und permanente Nutzung digitaler Medien. Damit ist eine gesunde Nutzung umsetzbar.
Durch das Klassenraumprinzip ist es zudem ruhiger im Schulhaus, weil die Räume weniger oft gewechselt werden. Außerdem gehen die Klassen meist ohne Taschen in die Hofpausen, sodass sie dort die Sportmöglichkeiten unbeschwert nutzen können.
Gab es Widerstand oder Kritik gegen das Handyverbot?
Katharina Schlumm: Selbstverständlich war zunächst die Ablehnung durch etliche Jugendliche da. Die Aufarbeitung der Extremsituation hat allerdings dazu geführt, dass die kritischen Stimmen bald schwiegen, denn sie hatten die neue Situation selbst mit ihrem Verhalten provoziert.
Von den Eltern kam erstaunlicherweise nicht eine einzige Kritik, was uns Lehrkräfte positiv überrascht hat. Es gab eine hundertprozentige Zustimmung, vermutlich weil das Handy auf dem Schulweg weiterhin zur Verfügung steht. Da es in der Jahrgangsstufe 7 eine Projektwoche zur Mediennutzung gibt und das Smartphone zudem regelmäßig im Unterricht genutzt wird, gibt es kein echtes Gegenargument für Eltern.
Wie stellen Sie sicher, dass die Regeln eingehalten werden?
Katharina Schlumm: Mitunter führen wir in den höheren Klassen eine Kontrolle durch. Dann geben die letzten Jugendlichen ihre Handys freiwillig ab, weil sie die Regel ja kennen. In den unteren Klassen wird die Regel problemlos umgesetzt.
Selbst wenn einige Handys über den Tag ausgeschaltet in der Tasche bleiben sollten, stört es nicht, weil sie nicht unaufgefordert herausgeholt werden. Manchmal ist es Vergesslichkeit, weil jemand morgens verspätet in die Schule kam. Niemand provoziert absichtlich einen Regelverstoß.
Haben Sie Rückmeldungen von ehemaligen Schülern erhalten?
Katharina Schlumm: Ja, und das ist besonders interessant: Die Absolventen des letzten Schuljahres, die sich aktuell in einer Ausbildung oder in der gymnasialen Oberstufe befinden, trauern unserer Regel nach, weil es diese an ihrer neuen Schule nicht gibt. Alle vermissen das angenehme Schulklima, das sie bei uns durch das Handyverbot erleben durften.
Was würden Sie anderen Schulen raten, die ein Handyverbot in Betracht ziehen?
Katharina Schlumm: Aus unserer Erfahrung machen halbe Sachen wenig Sinn. Obwohl die moderaten Regeln zuvor allen bekannt waren, wurde regelmäßig dagegen verstoßen. Jugendliche, die zum Teil bereits Suchtverhalten zeigen, finden einen Weg, die Regeln zu umgehen. Aufgrund der durchweg positiven Effekte eines generellen Verbots gibt es kein vernünftiges Argument, diese Regel nicht komplett einzuführen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Handyverbots an Ihrer Schule?
Katharina Schlumm: Mit dieser neuen Regelung, die inzwischen von allen Beteiligten akzeptiert und eingehalten wird, fördern wir die Medienkompetenz und zugleich die Gesunderhaltung unserer Jugendlichen. Es gibt zurzeit daher keinen Grund, eine Änderung des Konzeptes vorzunehmen. In jedem Unterrichtsfach spielen digitale Methoden eine wichtige und oftmals sogar herausragende Rolle.
Die größte Überraschung im Zusammenhang mit den neuen Regelungen sind die fehlende Kritik der Eltern und die sehr schnell messbare und sichtbare Verbesserung des Schulklimas. Ein Jahr nach der Einführung las ich das Buch „Generation Angst“ von Jonathan Haidt und sehe unsere Beobachtungen darin bestätigt sowie durch Studienergebnisse belegt.