Evidenzbasierte Praxis in der Sozialen Arbeit lehren
Erkenntnisse aus einer systematischen Übersichtsarbeit
inForschung, Soziale Arbeit25. Februar 2021
Dieser Artikel basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel „How to Teach Evidence-Based Practice in Social Work: A Systematic Review“ von Florian Spensberger et al., veröffentlicht in der Zeitschrift „Research on Social Work Practice“ im Jahr 2020.
Die evidenzbasierte Praxis (EBP) hat in den letzten Jahren in der Sozialen Arbeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Aber was genau verstehen wir unter EBP und warum ist sie für Fachkräfte in der Sozialen Arbeit so wichtig?
EBP ist ein Ansatz, der darauf abzielt, die bestmöglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der klinischen Expertise der Fachkraft und den Werten und Präferenzen der Klienten zu verbinden, um fundierte Entscheidungen in der Praxis zu treffen. In der Sozialen Arbeit gibt es zwei Hauptansätze der EBP:
Die Einführung von EBP in die Soziale Arbeit ist Teil einer breiteren Bewegung hin zu evidenzbasierter Praxis in verschiedenen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens. Ursprünglich aus der Medizin stammend, hat sich EBP in den letzten Jahrzehnten auch in der Sozialen Arbeit etabliert.
Die Grundidee ist einfach: Sozialarbeiter sollen ihre Entscheidungen auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse treffen, anstatt sich ausschließlich auf Intuition, Erfahrung oder Tradition zu verlassen. Dies soll zu effektiveren Interventionen und besseren Ergebnissen für die Klienten führen.
Allerdings ist die Umsetzung von EBP in der Sozialen Arbeit nicht ohne Herausforderungen. Im Gegensatz zur Medizin, wo randomisierte kontrollierte Studien oft als „Goldstandard“ gelten, ist die Forschung in der Sozialen Arbeit oft komplexer und kontextabhängiger. Soziale Probleme sind oft multifaktoriell bedingt und Interventionen müssen an individuelle und kulturelle Gegebenheiten angepasst werden.
Die Einführung von EBP in die Soziale Arbeit hat auch Kritik hervorgerufen. Einige der Hauptkritikpunkte sind:
Trotz dieser Kritikpunkte sehen viele Experten EBP als einen wichtigen Weg zur Verbesserung der Qualität und Effektivität der Sozialen Arbeit. Die Herausforderung besteht darin, EBP auf eine Weise zu implementieren, die diese Bedenken berücksichtigt und die spezifischen Anforderungen der Sozialen Arbeit respektiert.
Angesichts der Komplexität von EBP wird deutlich, wie wichtig eine fundierte Ausbildung für Sozialarbeiter ist. Sie müssen nicht nur lernen, wie man Forschungsergebnisse findet und bewertet, sondern auch, wie man diese Erkenntnisse sinnvoll in die Praxis integriert und dabei die individuellen Bedürfnisse der Klienten berücksichtigt.
Trotz der zunehmenden Bedeutung von EBP zeigen Studien, dass viele Sozialarbeiter Schwierigkeiten haben, EBP in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Spensberger et al. (2020) verweisen in ihrer systematischen Übersichtsarbeit auf mehrere Untersuchungen, die diese Problematik beleuchten. So zeigte eine Studie von Parrish und Rubin (2012), dass nur ein geringer Prozentsatz der befragten Sozialarbeiter regelmäßig alle Schritte des EBP-Prozesses in ihrer Praxis anwendet.
Gründe für diese Schwierigkeiten sind vielfältig und umfassen unter anderem mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten, unzureichende Vorbereitung während der Ausbildung und negative Einstellungen gegenüber EBP (Bellamy et al., 2006, zitiert nach Spensberger et al., 2020).
Die Studie zeigt, dass die meisten Schulungen zu EBP in der Sozialen Arbeit einen gemischten Ansatz verfolgen, der sowohl lehrer- als auch schülerzentrierte Elemente enthält. Etwa 74% der untersuchten Bildungsinterventionen beinhalteten zumindest teilweise schülerzentrierte Elemente.
Besonders interessant ist, dass fast die Hälfte der Studien (48,2%) die Anwendung des Gelernten in der realen Praxis erforderten. Dies ist ein wichtiger Punkt, da die Anwendung von Wissen in realen Situationen oft als entscheidend für den Lernerfolg angesehen wird.
Die Ergebnisse der Studie zeigen überwiegend positive Effekte der Bildungsinterventionen, sowohl für den EBP-Prozess als auch für ESTs. Besonders hervorzuheben sind:
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die meisten dieser Effekte auf Selbsteinschätzungen der Teilnehmer basieren und nicht durch objektive Leistungsmessungen bestätigt wurden.
Ein kritischer Punkt der Übersichtsarbeit betrifft die methodische Qualität der untersuchten Studien:
Spensberger et al. (2020) verweisen in ihrer Übersichtsarbeit auf eine Beobachtung von Yaffe (2013), wonach die meisten Evaluationsstudien in der Sozialarbeitsausbildung kein kontrolliertes Design verwenden. Diese methodische Schwäche unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung in diesem Bereich.
Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für Fachkräfte und Ausbilder in der Sozialen Arbeit?
Trotz der genannten Herausforderungen und Kritikpunkte bietet die Integration von EBP in die Soziale Arbeit erhebliche Vorteile:
Diese Vorteile verdeutlichen, warum es so wichtig ist, effektive Wege zu finden, um EBP in der Ausbildung und Fortbildung von Sozialarbeitern zu vermitteln. Die von Spensberger et al. identifizierten Ansätze – praxisorientierte Schulungen, Förderung kritischen Denkens, vielfältige Lehrmethoden und kontinuierliche Evaluation – bieten einen vielversprechenden Rahmen, um diese Vorteile zu realisieren.
Die Übersichtsarbeit von Spensberger et al. (2020) liefert wichtige Erkenntnisse zur Lehre von EBP in der Sozialen Arbeit. Sie zeigt, dass praxisorientierte, vielfältige Schulungsansätze vielversprechend sind, weist aber auch auf den Bedarf an methodisch hochwertiger Forschung in diesem Bereich hin.
Für Fachkräfte in der Sozialen Arbeit unterstreicht die Studie die Bedeutung von kontinuierlicher Fortbildung und kritischem Denken im Bereich EBP. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass die Integration von EBP in die Praxis eine komplexe Aufgabe ist, die über einzelne Schulungen hinausgeht und eine umfassende Veränderung in der Kultur der Sozialen Arbeit erfordert.
Die Herausforderung besteht darin, EBP auf eine Weise zu implementieren, die die spezifischen Anforderungen und ethischen Grundsätze der Sozialen Arbeit respektiert. Dies erfordert einen ausgewogenen Ansatz, der wissenschaftliche Evidenz mit professioneller Expertise und den individuellen Bedürfnissen und Werten der Klienten in Einklang bringt.
Als nächste Schritte wären Studien wünschenswert, die die Wirksamkeit verschiedener Lehrmethoden direkt vergleichen und dabei objektive Leistungsmessungen in realen Praxissituationen einsetzen. Zudem sollten zukünftige Forschungen untersuchen, wie EBP-Schulungen die tatsächliche Praxis von Sozialarbeitern beeinflussen und welche Auswirkungen dies auf die Ergebnisse für die Klienten hat.
Nur so können wir langfristig sicherstellen, dass Fachkräfte in der Sozialen Arbeit optimal auf die Anwendung von EBP vorbereitet werden – zum Wohle ihrer Klienten und der Profession insgesamt. Die Integration von EBP in die Soziale Arbeit ist kein einfacher Prozess, aber sie bietet das Potenzial, die Qualität und Wirksamkeit der Sozialen Arbeit erheblich zu verbessern und damit einen wichtigen Beitrag zur Lösung komplexer sozialer Probleme zu leisten.
Die Infografik stellt die vier Schlüsselelemente effektiver EBP-Schulungen in der Sozialen Arbeit dar, die in der systematischen Übersichtsarbeit von Spensberger et al. (2020) identifiziert wurden. Sie ist als kreisförmiges Diagramm konzipiert, um die Verbundenheit und Gleichwertigkeit der Elemente zu verdeutlichen.
Im Zentrum der Grafik befindet sich ein großer Kreis mit der Aufschrift „Effektive EBP-Schulungen“. Um diesen zentralen Kreis herum sind vier kleinere Kreise angeordnet, die jeweils ein Schlüsselelement repräsentieren:
Alle vier Elemente sind durch Linien mit dem zentralen Kreis verbunden, um ihre Bedeutung für effektive EBP-Schulungen zu verdeutlichen. Die Verwendung verschiedener Farben für jedes Element erhöht die visuelle Attraktivität und Einprägsamkeit der Grafik.
Diese Infografik bietet einen schnellen und eingängigen Überblick über die Kernelemente effektiver EBP-Schulungen und kann als nützliches Hilfsmittel für Ausbilder und Praktiker in der Sozialen Arbeit dienen.
Spensberger, F., Kollar, I., Gambrill, E., Ghanem, C., & Pankofer, S. (2020). How to teach evidence-based practice in social work: A systematic review. Research on Social Work Practice, 30(1), 19-39. https://doi.org/10.1177/1049731519852150
Yaffe, J. (2013). Where’s the evidence for social work education? Journal of Social Work Education, 49(4), 525-527. https://doi.org/10.1080/10437797.2013.820582