Die Gesundheit von Lehrkräften ist ein zentrales Thema für die Prävention und Gesundheitsförderung im Bildungssektor. Eine Studie von Wesselborg und Bauknecht (2023) liefert wichtige neue Erkenntnisse zu Belastungs- und Resilienzfaktoren im Lehrerberuf. Der folgende Beitrag fasst die Hauptergebnisse zusammen und diskutiert deren Relevanz für Fachkräfte in der Gesundheitsförderung.

Hintergrund und Relevanz

Lehrkräfte übernehmen zentrale Bildungsaufgaben in unserer Gesellschaft, sind dabei aber hohen psychosozialen Anforderungen ausgesetzt. Studien zeigen seit Jahren eine problematische gesundheitliche Situation in dieser Berufsgruppe. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Studie die psychische Erschöpfung und berufsspezifische Belastungsfaktoren bei Lehrern im Vergleich zu anderen Erwerbstätigen. Zudem werden Resilienzfaktoren identifiziert, die die Gesundheit von Lehrkräften schützen können.

Hauptergebnisse der Studie

  1. Erhöhte psychische Erschöpfung bei Lehrkräften. Die Studie bestätigt, dass Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Erwerbstätigen eine signifikant höhere psychische Erschöpfung aufweisen. Der Mittelwert der psychischen Erschöpfungssymptome lag bei Lehrern bei 2,03 (95%-KI: 1,92-2,17), während er bei anderen Erwerbstätigen nur 1,73 (95%-KI: 1,71-1,76) betrug. Dies unterstreicht die besondere Belastungssituation im Lehrerberuf.
  2. Spezifische Belastungsfaktoren im Lehrerberuf. Als stärkster Belastungsfaktor erwies sich die emotionale Belastung. Lehrkräfte berichteten signifikant häufiger, dass ihre Tätigkeit sie in Situationen bringt, die sie gefühlsmäßig belasten. Auch andere Belastungsfaktoren wie starker Termin- oder Leistungsdruck traten bei Lehrern häufiger auf als bei anderen Berufsgruppen. Diese Ergebnisse weisen auf die spezifischen Anforderungen der Interaktionsarbeit im Lehrerberuf hin.
  3. Bedeutung sozialer Unterstützung als Resilienzfaktor. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die hohe Bedeutung der sozialen Unterstützung durch das Kollegium als Resilienzfaktor. Interessanterweise schätzten Lehrkräfte die Unterstützung durch Kollegen signifikant höher ein als Beschäftigte anderer Berufe (Indexwert 2,59 vs. 2,46). Die Unterstützung durch Vorgesetzte wurde dagegen als etwas geringer wahrgenommen.
  4. Herausforderungen bei der Distanzierungsfähigkeit. Ein weiterer wichtiger Befund ist, dass es Lehrkräften deutlich schwerer fällt, nach der Arbeit abzuschalten. Nur 61,8% der Lehrer gaben an, dass es ihnen nicht häufig schwerfällt abzuschalten, im Vergleich zu 78,6% bei anderen Erwerbstätigen. Dies könnte mit der Zweiteilung des Arbeitsplatzes zwischen Schule und Zuhause zusammenhängen.

Soziale Unterstützung durch Kollegium

Verringerte psychische Erschöpfung

Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte

Verringerte psychische Erschöpfung

Distanzierungsfähigkeit

Verringerte psychische Erschöpfung

Abbildung 1: Eigene Darstellung basierend auf der Studie von Wesselborg und Bauknecht (2023) – Resilienzfaktoren und ihre Wirkung auf die psychische Erschöpfung

Implikationen für die Prävention und Gesundheitsförderung

Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung:

1. Fokus auf Organisationsentwicklung und Schulklima

Die hohe Bedeutung der kollegialen Unterstützung als Resilienzfaktor legt nahe, dass Maßnahmen zur Gesundheitsförderung verstärkt auf die Organisationsentwicklung und das Schulklima abzielen sollten. Fachkräfte sollten Ansätze entwickeln, die:

  • Strukturelle Rahmenbedingungen für einen partizipativen Führungsstil schaffen
  • Eine ausgeprägte Rückmeldekultur und transparente Kommunikationsstrukturen fördern
  • Gezielt Orte und Gelegenheiten für Kommunikation und Austausch im Kollegium schaffen

Konkrete Maßnahmen könnten strukturierte Verfahren wie kollegiale Fallberatungen oder kollegiale Unterrichtsbesuche unter dem Fokus der Lehrergesundheit sein.

2. Adressierung der emotionalen Belastungen

Die hohe emotionale Belastung im Lehrerberuf erfordert spezifische Unterstützungsangebote. Präventionsfachkräfte sollten Programme entwickeln, die:

  • Lehrkräfte beim Umgang mit den Anforderungen der Interaktionsarbeit unterstützen
  • Strategien zur Emotionsregulation und zum Umgang mit belastenden Situationen vermitteln
  • Die Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis unter gesundheitlichen Aspekten fördern

Hier könnten Ansätze wie das Erlernen von Klassenführungsstrategien oder die methodische Reflexion der Unterrichtsgestaltung hinsichtlich ihrer Beanspruchung integriert werden.

3. Förderung der Distanzierungsfähigkeit

Die Schwierigkeiten vieler Lehrkräfte beim Abschalten nach der Arbeit verdienen besondere Aufmerksamkeit. Gesundheitsfördernde Maßnahmen sollten:

  • Die spezifische Arbeitssituation mit geteiltem Arbeitsplatz berücksichtigen
  • Strategien zur besseren Trennung von Arbeits- und Privatleben vermitteln
  • Die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Schule für Vor- und Nachbereitungen anregen

4. Ganzheitlicher Ansatz der Schulentwicklung

Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Gesundheitsförderung als integralen Bestandteil der Schulentwicklung zu verstehen. Fachkräfte sollten:

  • Mit Schulleitungen an der Integration von Gesundheitsaspekten in alle Bereiche der Schulorganisation arbeiten
  • Die Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Schulkultur unterstützen
  • Lehrkräfte, Schulleitung und weitere Akteure in partizipative Prozesse einbinden

Methodische Stärken und Limitationen der Studie

Stärken:

  • Repräsentative Stichprobe: Die Studie basiert auf Daten der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung, die eine große, repräsentative Stichprobe von Erwerbstätigen in Deutschland umfasst. Dies erhöht die Generalisierbarkeit der Ergebnisse.
  • Vergleichende Analyse: Durch den Vergleich von Lehrkräften mit anderen Berufsgruppen können spezifische Belastungen und Ressourcen im Lehrerberuf identifiziert werden.
  • Multivariate Analysen: Die Verwendung von binär-logistischen Regressionen ermöglicht es, den Einfluss verschiedener Faktoren auf die psychische Erschöpfung gleichzeitig zu untersuchen und dabei für andere Variablen zu kontrollieren.

Limitationen:

  • Querschnittdesign: Die Studie basiert auf Querschnittdaten, was keine kausalen Schlussfolgerungen erlaubt. Die identifizierten Zusammenhänge zwischen Resilienzfaktoren und psychischer Erschöpfung können daher nicht als eindeutig kausal interpretiert werden.
  • Selbstberichtete Daten: Die Daten basieren ausschließlich auf Selbstberichten der Befragten, was zu Verzerrungen durch subjektive Wahrnehmungen oder soziale Erwünschtheit führen kann.
  • Eingeschränkte Differenzierung: Die Studie differenziert nicht zwischen verschiedenen Schulformen oder spezifischen Arbeitsbedingungen an einzelnen Schulen, was möglicherweise wichtige Unterschiede verdeckt.
  • Fehlende Längsschnittdaten: Ohne Längsschnittdaten ist es schwierig, die langfristigen Auswirkungen von Belastungen und die Wirksamkeit von Resilienzfaktoren über die Zeit zu beurteilen.
  • Begrenzte Erfassung der psychischen Erschöpfung: Die Messung der psychischen Erschöpfung basiert auf einem relativ einfachen additiven Index. Eine umfassendere Erfassung mit standardisierten psychologischen Instrumenten könnte ein differenzierteres Bild liefern.

Diese methodischen Aspekte sollten bei der Interpretation und Anwendung der Studienergebnisse berücksichtigt werden. Trotz der genannten Limitationen liefert die Studie wertvolle Erkenntnisse und Ansatzpunkte für die Prävention und Gesundheitsförderung im Lehrerberuf.

Fazit

Die Studie von Wesselborg und Bauknecht (2023) liefert wichtige neue Erkenntnisse zur Gesundheitssituation von Lehrkräften. Sie unterstreicht die Notwendigkeit spezifischer, auf die Besonderheiten des Lehrerberufs zugeschnittener Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Für Fachkräfte in diesem Bereich ergeben sich daraus vielfältige Ansatzpunkte für die Entwicklung und Implementierung wirkungsvoller Interventionen.

Besonders hervorzuheben ist die zentrale Bedeutung des Kollegiums als gesundheitliche Ressource. Dies eröffnet neue Perspektiven für die Gesundheitsförderung, die über individuelle Maßnahmen hinausgehen und den „Betrieb Schule“ als Ganzes in den Blick nehmen. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass die emotionalen Anforderungen und Schwierigkeiten bei der Abgrenzung weiterhin große Herausforderungen darstellen.

Für die Praxis der Gesundheitsförderung an Schulen bedeutet dies, dass mehrdimensionale Ansätze gefragt sind, die sowohl die organisationale als auch die individuelle Ebene adressieren. Nur so kann es gelingen, die Gesundheitssituation von Lehrkräften nachhaltig zu verbessern und damit auch die Bildungsqualität insgesamt zu stärken.