Dieser Blogbeitrag basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel „Community participation in health services development, implementation, and evaluation: A systematic review of empowerment, health, community, and process outcomes“ von Haldane et al. (2019), veröffentlicht in PLOS ONE.

Der historische und konzeptuelle Kontext von Community Participation im Gesundheitswesen

Die Beteiligung von Gemeinschaften an der Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Gesundheitsdiensten hat eine lange Geschichte in der öffentlichen Gesundheit. Der Begriff „Community Participation“ (auf Deutsch: Gemeinschaftsbeteiligung) bezieht sich dabei auf die aktive Einbeziehung von Mitgliedern einer definierten Gemeinschaft in Entscheidungsprozesse und Aktivitäten, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden betreffen.

Bereits 1978 wurde mit der Alma-Ata-Erklärung die zentrale Rolle der Gemeinschaft in der Planung, Organisation und Kontrolle der primären Gesundheitsversorgung betont (World Health Organization, 1978). In den letzten Jahren hat das Konzept im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs, auf Deutsch: Ziele für nachhaltige Entwicklung) und der Forderung nach integrierten, personenzentrierten Gesundheitsdiensten erneut an Bedeutung gewonnen (Haldane et al., 2019).

Konzeptuelles Verständnis von Community Participation

Community Participation, auch als partizipative oder gemeindeorientierte Gesundheitsförderung bekannt, basiert auf dem Grundsatz, dass Menschen das Recht und die Verantwortung haben, eine aktive Rolle in Entscheidungen zu spielen, die ihre Gesundheit beeinflussen. Es geht über eine bloße Anhörung hinaus und zielt darauf ab, Gemeinschaften zu befähigen, Prioritäten zu setzen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen (Haldane et al., 2019).

Die zugrunde liegende Annahme ist, dass die aktive Einbeziehung (Partizipation) von Gemeinschaften nicht nur die Effektivität von Gesundheitsprogrammen verbessert, sondern auch positive Auswirkungen auf das Sozialkapital, das Community Empowerment und letztlich den Gesundheitszustand und die gesundheitliche Chancengleichheit hat (Wallerstein, 2006). Im deutschen Kontext wird dies oft durch den Settingansatz umgesetzt, der sich auf spezifische Lebenswelten konzentriert. Der Settingansatz ist ein Konzept der Gesundheitsförderung, das darauf abzielt, Gesundheit in den Alltagsstrukturen und -abläufen zu verankern, in denen Menschen einen Großteil ihrer Zeit verbringen, wie z.B. Schulen, Arbeitsplätze oder Stadtteile.

Definitionen wichtiger Begriffe

  • Sozialkapital: Bezieht sich auf die Ressourcen, die aus sozialen Beziehungen und Netzwerken entstehen und den Zugang zu Informationen, Unterstützung und Möglichkeiten erleichtern können (Putnam, 2000).
  • Community Empowerment: Ein Prozess, durch den Gemeinschaften die Fähigkeit erlangen, Kontrolle über ihre Angelegenheiten auszuüben und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Es beinhaltet die Entwicklung von Fähigkeiten, Zugang zu Ressourcen und partizipative Entscheidungsfindung (Wallerstein, 2006).
  • Gesundheitliche Chancengleichheit: Das Ziel, dass jeder Mensch die gleiche Möglichkeit hat, sein volles Gesundheitspotenzial auszuschöpfen, unabhängig von sozioökonomischen Faktoren oder anderen Umständen (Haldane et al., 2019).

Trotz der weitverbreiteten Akzeptanz in Theorie und Praxis bleiben jedoch viele strukturelle und praktische Herausforderungen bei der erfolgreichen Umsetzung von Community Participation bestehen (Haldane et al., 2019).

Methodik der Studie

Studiendesign und Suchstrategie

Die Autoren führten eine systematische Literaturübersicht nach den PRISMA-Richtlinien (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) durch. Diese Richtlinien stellen einen evidenzbasierten Mindeststandard für transparente und vollständige Berichterstattung von systematischen Übersichtsarbeiten dar (Moher et al., 2009).

Eingeschlossen wurden Studien, die die Beteiligung von Gemeinschaften, Dienstleistungsnutzern, Verbrauchern, Haushalten, Patienten und der Öffentlichkeit bei der Planung, Implementierung, Überwachung und Evaluation von Gesundheitsdiensten, -politik oder -interventionen untersuchten (Haldane et al., 2019).

Analyse und Synthese

Aufgrund der Heterogenität der eingeschlossenen Studien wurde eine narrative Synthese der Ergebnisse durchgeführt. Bei dieser qualitativen Methode werden die Ergebnisse der eingeschlossenen Studien zusammengefasst und interpretiert, ohne sie statistisch zu kombinieren (Haldane et al., 2019).

Die Outcomes wurden in folgende Kategorien eingeteilt:

  1. Prozess-Outcomes: Kurzfristige Ergebnisse, die die Effektivität kollaborativer Prozesse und Aktivitäten widerspiegeln.
  2. Community-Outcomes: Mittelfristige soziale Effekte, die Veränderungen im Wissen, in den Einstellungen und im Verhalten der Gemeinschaftsmitglieder darstellen.
  3. Gesundheitliche Outcomes: Veränderungen im Gesundheitszustand der Gemeinschaftsmitglieder.
  4. Stakeholder-Perspektiven: Wahrnehmungen und Erfahrungen der beteiligten Akteure.
  5. Empowerment: Befähigung von Gemeinschaften oder Individuen, Kontrolle über ihre Gesundheit und deren Determinanten auszuüben.

Hauptergebnisse der Studie

Prozess-Outcomes

29 Studien berichteten über Prozess-Outcomes, davon 23 über organisatorische Prozesse und 9 über Community-Prozesse. Organisatorische Prozesse beziehen sich auf Ergebnisse innerhalb der beteiligten Organisationen, während Community-Prozesse Veränderungen in der Zielgemeinschaft beschreiben (Haldane et al., 2019).

Positive Ergebnisse zeigten sich u.a. in Bezug auf:

  • Entwicklung kontextgerechter Initiativen
  • Schaffung geeigneter Richtlinien und gemeinschaftliche Prioritätensetzung
  • Klarere Rollendefinition
  • Ermöglichung von mehr Aktivitäten

Community-Outcomes

21 Studien berichteten über Community-Outcomes, insbesondere:

  • Erhöhtes Wissen und Bewusstsein in der Gemeinschaft
  • Verbesserte Selbstwirksamkeit und Vertrauen
  • Positive Auswirkungen auf Sozialkapital und sozialen Zusammenhalt

Selbstwirksamkeit bezieht sich dabei auf die Überzeugung einer Person, bestimmte Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können (Bandura, 1997). Sozialer Zusammenhalt beschreibt den Grad des Zusammenhalts und der Verbundenheit innerhalb einer Gemeinschaft (Putnam, 2000).

Gesundheitliche Outcomes

12 Studien berichteten über gesundheitliche Outcomes, mit den positivsten Ergebnissen im Bereich nichtübertragbarer Krankheiten, z.B.:

  • Verringerte Krankenhauseinweisungen
  • Reduzierte klinische Symptome
  • Verbesserung von Risikofaktoren (z.B. Bewegung)
  • Verbesserte Lebensqualität

Stakeholder-Perspektiven und Empowerment

16 Studien untersuchten Stakeholder-Perspektiven, die überwiegend positiv ausfielen. Als Stakeholder werden in diesem Kontext alle Personen oder Gruppen verstanden, die ein Interesse an oder einen Einfluss auf die Gesundheitsinterventionen haben, einschließlich Gemeindemitglieder, Gesundheitsdienstleister, lokale Behörden und Organisationen. 6 Studien berichteten über Empowerment als Outcome, wobei die Definitionen und Messungen jedoch variierten. Dies verdeutlicht die Herausforderung, Empowerment als komplexes, multidimensionales Konzept zu operationalisieren und zu messen (Haldane et al., 2019).

Übersicht der Hauptergebnisse

Outcome-Kategorie Anzahl der Studien Hauptergebnisse
Prozess-Outcomes 29 – Entwicklung kontextgerechter Initiativen
– Schaffung geeigneter Richtlinien
– Klarere Rollendefinition
– Mehr Aktivitäten
Community-Outcomes 21 – Erhöhtes Wissen und Bewusstsein
– Verbesserte Selbstwirksamkeit
– Stärkung des Sozialkapitals
Gesundheitliche Outcomes 12 – Verringerte Krankenhauseinweisungen
– Reduzierte klinische Symptome
– Verbesserte Lebensqualität
Stakeholder-Perspektiven 16 – Überwiegend positive Bewertungen
– Zufriedenheit mit Beteiligungsprozessen
Empowerment 6 – Positive Berichte, aber uneinheitliche Definitionen
– Herausforderungen bei der Messung

Kritische Diskussion der Ergebnisse

Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Community Participation in Ländern mit höherem Einkommen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Community Involvement positive Auswirkungen auf organisatorischer, gemeinschaftlicher und individueller Ebene haben kann (Haldane et al., 2019).

Limitationen der Studie

Allerdings weist die Studie auch einige Limitationen auf:

  • Heterogenität der eingeschlossenen Studien erschwert Vergleichbarkeit
  • Überwiegend Studien aus den USA, möglicher Publikationsbias
  • Viele deskriptive oder qualitative Studien, wenige robuste quantitative Evaluationen
  • Kaum Langzeitstudien oder Untersuchungen zu Kosteneffektivität
  • Unklare Definitionen und Messungen, insbesondere bei Empowerment

Publikationsbias bezieht sich auf die Tendenz, dass Studien mit positiven oder signifikanten Ergebnissen mit höherer Wahrscheinlichkeit veröffentlicht werden als solche mit negativen oder nicht-signifikanten Ergebnissen, was zu einer Verzerrung des publizierten Wissensstandes führen kann.

Potenzielle negative Aspekte

Im Kontext von Community Participation spielen Partnerschaften eine wichtige Rolle. Diese Partnerschaften beziehen sich auf formelle oder informelle Zusammenarbeiten zwischen verschiedenen Stakeholdern, wie z.B. Gesundheitsorganisationen, lokalen Behörden, Gemeinschaftsgruppen und Einzelpersonen, die gemeinsam an der Verbesserung der Gesundheit in der Gemeinschaft arbeiten.

Die Autoren weisen darauf hin, dass nicht alle diese Partnerschaften positive Ergebnisse zeigten. Gründe dafür können widersprüchliche Ansichten der beteiligten Stakeholder oder eine Unterschätzung des Zeit- und Ressourcenaufwands für effektive Kollaborationen sein. Zudem besteht die Gefahr, Empowerment auf eine bürokratische Komponente zu reduzieren, ohne tatsächliche Machtverschiebungen zu bewirken (Haldane et al., 2019). Diese Herausforderungen unterstreichen die Komplexität von Community Participation-Initiativen und die Notwendigkeit, sorgfältig die Dynamiken und Strukturen solcher Partnerschaften zu berücksichtigen.

Implikationen für die Praxis und zukünftige Forschung

Praktische Implikationen

Für Fachkräfte im Bereich Public Health und Gesundheitsförderung lassen sich folgende Implikationen ableiten (Haldane et al., 2019):

  1. Investition in robuste organisatorische Prozesse und Community-Strukturen als Grundlage für erfolgreiche Interventionen
  2. Berücksichtigung des lokalen Kontexts und der Geschichte der Gemeinschaft bei der Planung von Beteiligungsprozessen
  3. Entwicklung klarer Definitionen und Messinstrumente für Empowerment
  4. Fokus auf langfristige Nachhaltigkeit von Community Participation-Initiativen
  5. Kritische Reflexion möglicher unbeabsichtigter negativer Konsequenzen

Forschungsbedarf

Die Studie identifiziert mehrere Forschungslücken (Haldane et al., 2019):

  1. Bedarf an robusten Langzeitstudien zu Outcomes von Community Participation
  2. Notwendigkeit von Kosten-Nutzen-Analysen verschiedener Beteiligungsansätze
  3. Entwicklung standardisierter Definitionen und Messinstrumente, insbesondere für Empowerment
  4. Untersuchung der Wirksamkeit in verschiedenen Kontexten und für unterschiedliche Zielgruppen
  5. Analyse der Mechanismen, wie Community Participation zu verbesserten Gesundheitsoutcomes führt

Fazit

Die systematische Übersichtsarbeit von Haldane et al. (2019) liefert wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Community Participation in Ländern mit höherem Einkommen. Sie zeigt, dass Gemeinschaftsbeteiligung das Potenzial hat, positive Outcomes auf organisatorischer, gemeinschaftlicher und individueller Ebene zu erzielen.

Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass der Erfolg von Community Participation von komplexen Prozessen und kontextuellen Faktoren abhängt. Es bedarf weiterer Forschung, um die zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen und die langfristigen Auswirkungen sowie die Kosteneffektivität verschiedener Ansätze zu evaluieren.
Für Fachkräfte im Bereich Public Health unterstreicht die Studie die Bedeutung einer sorgfältigen Planung und Umsetzung von Beteiligungsprozessen unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten. Gleichzeitig mahnt sie zu einer kritischen Reflexion möglicher unbeabsichtigter Konsequenzen und einer realistischen Einschätzung des Aufwands und Nutzens von Community Participation.
Insgesamt bietet die Studie eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung von Community Participation-Ansätzen in der Gesundheitsförderung und Public Health-Praxis. Sie zeigt sowohl das Potenzial als auch die Herausforderungen dieses Konzepts auf und liefert wichtige Anhaltspunkte für zukünftige Forschung und Praxis in diesem Bereich.

Literaturverzeichnis

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. Freeman.

Boivin, A., Lehoux, P., Burgers, J., & Grol, R. (2014). What are the key ingredients for effective public involvement in health care improvement and policy decisions? A randomized trial process evaluation. The Milbank Quarterly, 92(2), 319-350. https://doi.org/10.1111/1468-0009.12060

Haldane, V., Chuah, F. L. H., Srivastava, A., Singh, S. R., Koh, G. C. H., Seng, C. K., & Legido-Quigley, H. (2019). Community participation in health services development, implementation, and evaluation: A systematic review of empowerment, health, community, and process outcomes. PLOS ONE, 14(5), Article e0216112. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0216112

Moher, D., Liberati, A., Tetzlaff, J., Altman, D. G., & The PRISMA Group. (2009). Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses: The PRISMA Statement. PLoS Medicine, 6(7), Article e1000097. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1000097

Putnam, R. D. (2000). Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. Simon & Schuster.

Wallerstein, N. (2006). What is the evidence on effectiveness of empowerment to improve health? WHO Regional Office for Europe. https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0010/74656/E88086.pdf

World Health Organization. (1978). Declaration of Alma-Ata: International Conference on Primary Health Care, Alma-Ata, USSR, 6-12 September 1978. https://www.who.int/publications/almaata_declaration_en.pdf