Partizipation und Empowerment spielen eine zentrale Rolle in der modernen Präventionsarbeit. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung von Beteiligung und Befähigung für erfolgreiche Prävention am Beispiel des Ansatzes „Communities That Care“ (CTC). Für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung bieten die Erkenntnisse wichtige Anregungen, wie Kommunen aktiv in Präventionsprogramme eingebunden werden können.

Communities That Care (CTC) – Ein Überblick

Communities That Care ist ein kommunaler Präventionsansatz, der in den 1990er Jahren von J. David Hawkins und Richard F. Catalano entwickelt wurde. CTC zielt darauf ab, gesundes Verhalten zu fördern und Problemverhalten bei Jugendlichen vorzubeugen. Der Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass Risiko- und Schutzfaktoren die Entwicklung von Jugendlichen maßgeblich beeinflussen.

CTC zeichnet sich durch folgende Kernelemente aus:

  • Systematische Erhebung von Daten zur Situation der Jugendlichen in der Kommune
  • Priorisierung von Risiko- und Schutzfaktoren basierend auf diesen Daten
  • Auswahl und Implementierung evidenzbasierter Präventionsprogramme
  • Kontinuierliche Evaluation und Anpassung der Maßnahmen

Ein zentrales Merkmal von CTC ist die aktive Einbindung der gesamten Gemeinschaft in diesen Prozess.

Haupterkenntnisse zur Partizipation in CTC

Aufbau einer breiten Koalition

Ein Kernelement von CTC ist der Aufbau einer breiten Community-Koalition, die verschiedene Stakeholder einbindet. Dabei wird die Bedeutung einer diversen Zusammensetzung des Community Boards betont, das Vertreter aus Bereichen wie Schulen, Jugendarbeit, Gesundheitswesen, Strafverfolgung und Zivilgesellschaft umfassen sollte. Durch die Einbindung unterschiedlicher Perspektiven kann ein umfassender Blick auf die Situation von Jugendlichen in der Kommune gewonnen werden. Gleichzeitig fördert die breite Beteiligung die Akzeptanz und nachhaltige Verankerung der Präventionsarbeit.

Datenbasierte Entscheidungsfindung unter Einbeziehung der Gemeinschaft

CTC setzt auf einen datenbasierten Ansatz, bei dem die Kommune aktiv in die Erhebung und Auswertung von Daten zur Situation der Jugendlichen einbezogen wird. Das Community Board spielt eine zentrale Rolle bei der Durchführung der CTC-Jugendbefragung sowie der Interpretation der Ergebnisse. Durch die gemeinsame Analyse können passgenaue Präventionsmaßnahmen entwickelt werden, die auf den spezifischen Bedarf und die Ressourcen vor Ort zugeschnitten sind.

Befähigung durch klare Rollen und Strukturen

CTC legt großen Wert auf klar definierte Rollen und Strukturen innerhalb des Prozesses. Es werden sechs spezifische Arbeitsgruppen vorgeschlagen, die unterschiedliche Aufgabenbereiche abdecken – von der Datenerhebung über die Ressourcenanalyse bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Diese klaren Strukturen ermöglichen es den beteiligten Akteuren, sich entsprechend ihrer Kompetenzen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. So wird das Empowerment der Gemeinschaft gefördert.

Kontinuierliche Schulung und Unterstützung

Um eine effektive Partizipation zu ermöglichen, sieht CTC kontinuierliche Schulungen und Unterstützungsangebote für die beteiligten Akteure vor. Es werden verschiedene Workshops durchgeführt, die im Laufe des CTC-Prozesses stattfinden. Diese vermitteln nicht nur Wissen über evidenzbasierte Prävention, sondern stärken auch die Fähigkeiten der Teilnehmenden zur Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung.

Herausforderungen bei der Umsetzung partizipativer Ansätze

Die Umsetzung partizipativer Ansätze wie CTC bringt auch Herausforderungen mit sich, die es zu berücksichtigen gilt:

  • Zeitaufwand: Der Aufbau breiter Koalitionen und die Einbindung verschiedener Stakeholder erfordern viel Zeit und Geduld. Es kann schwierig sein, diesen Zeitaufwand mit den oft knappen Ressourcen in der Präventionsarbeit in Einklang zu bringen.
  • Unterschiedliche Erwartungen: Die verschiedenen beteiligten Akteure bringen oft unterschiedliche Erwartungen und Zielvorstellungen mit. Es kann herausfordernd sein, diese zu einem gemeinsamen Konsens zusammenzuführen.
  • Machtungleichgewichte: In Kommunen bestehen häufig Machtungleichgewichte zwischen verschiedenen Gruppen. Diese können die gleichberechtigte Partizipation erschweren und müssen aktiv adressiert werden.
  • Nachhaltigkeit: Die langfristige Aufrechterhaltung des Engagements und der Strukturen über den initialen Enthusiasmus hinaus kann eine Herausforderung darstellen.
  • Komplexität der Daten: Die Interpretation und Nutzung von Daten zur Entscheidungsfindung kann für einige Beteiligte überfordernd sein und erfordert gezielte Unterstützung.

Lösungsansätze für diese Herausforderungen:

  • Realistische Zeitplanung und klare Kommunikation der erforderlichen Investitionen an alle Beteiligten
  • Moderierte Prozesse zur Entwicklung gemeinsamer Ziele und Visionen
  • Gezielte Empowerment-Strategien für benachteiligte Gruppen
  • Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien von Beginn an, einschließlich der Sicherung von Ressourcen
  • Schulungen und vereinfachte Darstellungen zur Verbesserung der Datenkompetenz

Praktische Implikationen für Fachkräfte

Für Präventionsfachkräfte ergeben sich aus diesen Erkenntnissen wichtige Implikationen für die Praxis:

  • Investition in Netzwerkarbeit: Der Aufbau einer breiten Koalition erfordert Zeit und Ressourcen. Fachkräfte sollten gezielt in die Netzwerkarbeit investieren und verschiedene Akteure für die Mitarbeit gewinnen. Dabei ist es wichtig, die Vorteile der Beteiligung für die jeweiligen Stakeholder herauszustellen.
  • Befähigung zur Datennutzung: Um eine datenbasierte Entscheidungsfindung unter Beteiligung der Gemeinschaft zu ermöglichen, müssen Fachkräfte die Akteure vor Ort befähigen, Daten zu verstehen und zu nutzen. Workshops zur Dateninterpretation und praxisnahe Übungen können helfen, Berührungsängste abzubauen.
  • Klare Strukturen schaffen: Die Einrichtung von Arbeitsgruppen mit definierten Aufgabenbereichen kann die Partizipation fördern. Fachkräfte sollten bei der Entwicklung solcher Strukturen unterstützen und darauf achten, dass die Rollen und Verantwortlichkeiten klar kommuniziert werden.
  • Kontinuierliche Qualifizierung: Regelmäßige Schulungen und Unterstützungsangebote sind zentral für den Erfolg partizipativer Ansätze. Fachkräfte sollten ein Konzept für die kontinuierliche Qualifizierung der beteiligten Akteure entwickeln und umsetzen.
  • Prozessbegleitung: Die Umsetzung partizipativer Ansätze erfordert eine intensive Begleitung. Fachkräfte sollten sich als Prozessbegleiter verstehen, die die Gemeinschaft dabei unterstützen, selbst Lösungen zu entwickeln, statt fertige Konzepte zu implementieren.

Vertiefung: Die Rolle der Daten im CTC-Prozess

Ein zentrales Element des CTC-Ansatzes ist die konsequente Nutzung von Daten zur Entscheidungsfindung und Steuerung des Präventionsprozesses. Dies stellt eine besondere Herausforderung, aber auch eine große Chance für die partizipative Arbeit dar.

Die CTC-Jugendbefragung als Kernstück der Datenerhebung

Die CTC-Jugendbefragung ist ein standardisiertes Instrument, das speziell für den CTC-Prozess entwickelt wurde. Sie erfasst sowohl Risiko- und Schutzfaktoren als auch das Auftreten von Problemverhalten bei Jugendlichen. Die Besonderheit liegt darin, dass die Befragung nicht nur von Experten durchgeführt und ausgewertet wird, sondern die gesamte Gemeinschaft in diesen Prozess einbezogen wird.

Herausforderungen bei der Datennutzung

Die gemeinsame Arbeit mit Daten bringt einige Herausforderungen mit sich:

  • Unterschiedliche Datenkompetenz: Die Fähigkeit, Daten zu verstehen und zu interpretieren, variiert stark zwischen den Beteiligten.
  • Emotionale Reaktionen: Daten können emotionale Reaktionen hervorrufen, insbesondere wenn sie negative Aspekte der Gemeinschaft offenlegen.
  • Überforderung durch Datenfülle: Die Vielzahl der erhobenen Informationen kann überwältigend sein.

Strategien zur Förderung der partizipativen Datennutzung

Um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Datennutzung zu einem wirklich partizipativen Prozess zu machen, können folgende Strategien hilfreich sein:

  • Schulungen zur Datenkompetenz: Workshops zur Dateninterpretation können helfen, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.
  • Visualisierung von Daten: Grafische Darstellungen machen komplexe Daten leichter zugänglich.
  • Storytelling mit Daten: Die Verknüpfung von Daten mit konkreten Geschichten aus der Gemeinschaft kann das Verständnis fördern.
  • Kleingruppen-Diskussionen: In kleinen Gruppen können Daten intensiv diskutiert und in den lokalen Kontext eingeordnet werden.
  • Iterativer Prozess: Die schrittweise Einführung und Diskussion von Daten verhindert Überforderung.

Die Rolle der Fachkräfte bei der partizipativen Datennutzung

Präventionsfachkräfte nehmen in diesem Prozess eine wichtige Vermittlerrolle ein. Sie müssen in der Lage sein, komplexe Daten verständlich aufzubereiten und den Prozess der gemeinsamen Interpretation zu moderieren. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sie die Expertise der lokalen Akteure wertschätzen und einbeziehen. Nur so kann aus den Daten ein wirklich gemeinschaftliches Verständnis der Situation entstehen, das die Grundlage für passgenaue Präventionsstrategien bildet.

Effektivität von Communities That Care

Die langfristige Wirksamkeit des CTC-Ansatzes wurde in einer Folgestudie der Community Youth Development Study (CYDS) untersucht, die 4407 Teilnehmer über einen Zeitraum von 12 Jahren vom 5. Schuljahr bis zum Alter von 23 Jahren verfolgte (Kuklinski et al., 2021). Die Ergebnisse zeigen, dass CTC auch mehr als ein Jahrzehnt nach der Intervention nachhaltige positive Effekte auf gesundheitsriskantes Verhalten hat:

  • Junge Erwachsene aus CTC-Kommunen berichteten eine um 3,5 bis 6,1% höhere lebenslange Abstinenz von Alkohol-, Zigaretten-, Cannabis- und anderen Drogenkonsum sowie antisozialem Verhalten im Vergleich zur Kontrollgruppe.
  • Die relative Verbesserung der Abstinenz lag je nach Outcome zwischen 13% und 55%.
  • CTC führte zu einer 20%igen relativen Verbesserung des Hochschulabschlusses, mit einem absoluten Anstieg von etwa 2%.
  • Die Kosten-Nutzen-Analyse ergab einen Nettonutzen von $7152 pro Teilnehmer allein aus den primären Auswirkungen. Unter Einbeziehung der sekundären Auswirkungen stieg der Nettonutzen auf $17.919 pro Teilnehmer (Kuklinski et al., 2021).

Diese Ergebnisse unterstreichen die langfristige Wirksamkeit und Kosteneffizienz des CTC-Ansatzes. Auch wenn die Effektstärken im jungen Erwachsenenalter als klein einzustufen sind, zeigen sie doch, dass die in der Mittelschule begonnene Präventionsarbeit die Teilnehmer auf gesündere Lebensbahnen gebracht hat, die bis ins Erwachsenenalter andauern (Hawkins et al., 2014; Oesterle et al., 2018).

Fazit: Daten als Katalysator für Gemeinschaftsprozesse

Die intensive Arbeit mit Daten im CTC-Prozess ist mehr als nur eine technische Notwendigkeit. Sie kann, wenn sie partizipativ gestaltet wird, zu einem Katalysator für Gemeinschaftsprozesse werden. Indem verschiedene Akteure gemeinsam Daten interpretieren und diskutieren, entsteht ein tieferes Verständnis für die Situation der Jugendlichen in der Kommune. Dies fördert nicht nur die Entwicklung effektiver Präventionsstrategien, sondern stärkt auch den Zusammenhalt und das gemeinsame Verantwortungsgefühl in der Gemeinschaft.

Die Erkenntnisse zu CTC unterstreichen die zentrale Bedeutung von Partizipation und Empowerment für erfolgreiche Prävention. Durch die aktive Einbindung und Befähigung der Gemeinschaft können passgenaue und nachhaltige Präventionsstrategien entwickelt werden. Für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung ergeben sich daraus neue Rollen und Aufgaben. Sie sind gefordert, Prozesse zu initiieren und zu begleiten, die es Kommunen ermöglichen, selbst aktiv zu werden. Dies erfordert spezifische Kompetenzen in Bereichen wie Netzwerkarbeit, Moderation und Capacity Building.

Die Umsetzung partizipativer Ansätze wie CTC stellt Fachkräfte vor Herausforderungen, bietet aber auch große Chancen für eine wirkungsvolle und nachhaltige Präventionsarbeit. Indem Kommunen befähigt werden, selbst Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Jugendlichen zu übernehmen, können langfristige positive Veränderungen angestoßen werden.

Die Ergebnisse der CYDS-Studie legen nahe, dass eine breitere Verbreitung von CTC die öffentliche Gesundheit und das Leben von Individuen langfristig verbessern und positive Nettonutzen für die Gesellschaft generieren könnte (Kuklinski et al., 2021). Angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit der Herausforderungen, mit denen Jugendliche heute konfrontiert sind, erscheint ein solcher kommunaler, partizipativer Ansatz vielversprechend. Er ermöglicht es, lokale Ressourcen zu bündeln, evidenzbasierte Prävention an spezifische Kontexte anzupassen und nachhaltige Strukturen für die Gesundheitsförderung zu schaffen.

Für die Zukunft wird es wichtig sein, weitere Forschung zur Optimierung und Anpassung des CTC-Ansatzes an verschiedene kulturelle und soziale Kontexte durchzuführen. Zudem sollten Wege gefunden werden, um die Implementation zu vereinfachen und die Kosten zu reduzieren, ohne dabei die Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Nur so kann das volle Potenzial von Communities That Care ausgeschöpft und eine breite Implementierung erreicht werden.

Letztendlich unterstreichen die hier präsentierten Erkenntnisse die Bedeutung langfristiger, gemeinschaftlicher Anstrengungen in der Prävention. Sie zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit und das Wohlergehen von Jugendlichen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für die gesamte Gesellschaft von großem Wert sind (Patton et al., 2018). Communities That Care bietet einen vielversprechenden Rahmen, um diese Investitionen effektiv und nachhaltig zu gestalten.

Literaturverzeichnis

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