Partizipation von Schülern in der schulischen Gesundheitsförderung
Eine systematische Übersicht der Effekte
inForschung, Gesundheit, Prävention10. Oktober 2018
Dieser Blogbeitrag basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel „Effects of student participation in school health promotion: a systematic review“ von Griebler et al. (2017), veröffentlicht in Health Promotion International.
Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen hat seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention 1989 zunehmend an Bedeutung gewonnen. Artikel 12 dieser Konvention betont das Recht von Kindern, in allen sie betreffenden Angelegenheiten gehört zu werden und ihre Meinung frei zu äußern. Im Bereich der Gesundheitsförderung wird Partizipation seit der Ottawa-Charta von 1986 als Schlüsselkomponente betrachtet.
Die Ottawa-Charta definiert Gesundheitsförderung als „Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“ (WHO, 1986). Partizipation wird dabei als wesentlich angesehen.
Im schulischen Kontext hat sich das Konzept der „Gesundheitsfördernden Schule“ etabliert, das einen systemischen Ansatz verfolgt und die aktive Einbeziehung aller Beteiligten, einschließlich der Schüler, betont. Trotz eines breiten Konsenses über die Wichtigkeit von Partizipation bleibt die empirische Evidenz für ihre Wirksamkeit begrenzt.
Vor diesem Hintergrund führten Griebler et al. (2017) eine systematische Übersichtsarbeit durch, um die vorhandene Evidenz zu den Effekten der Schülerpartizipation in der schulischen Gesundheitsförderung zusammenzufassen und zu analysieren.
Die Autoren definieren dies als Praktiken, die eine Zusammenarbeit zwischen Schülern und verschiedenen Akteursgruppen in gesundheitsbezogenen Fragen beinhalten, um Entscheidungsprozesse bei der Gestaltung, Planung, Durchführung oder Evaluation von Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu beeinflussen (Potvin, 2007 nach Griebler et al., 2017). Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen echter und symbolischer Partizipation: Echte Partizipation bedeutet, tatsächlich Einfluss auf Entscheidungen und Aktivitäten zu haben, nicht nur daran teilzunehmen (Simovska, 2007; Hart, 2008 nach Griebler et al., 2017).
Hierunter verstehen die Autoren Projekte, Programme, Interventionen oder andere schulbasierte Initiativen mit dem Ziel, Gesundheit, Gesundheitsverhalten, gesundheitsbezogene Kompetenzen oder andere soziale und materielle Gesundheitsdeterminanten für Schüler oder andere schulbezogene Akteure günstig zu beeinflussen.
Diese werden definiert als Outcomes, die durch empirische – quantitative oder qualitative – Maßnahmen (z.B. Fragebögen, Interviews, Beobachtungen) nachgewiesen und eindeutig auf die Partizipation von Schülern an der Gestaltung, Planung, Durchführung oder Evaluation einer Gesundheitsförderungsmaßnahme zurückgeführt werden können.
Ein zentrales Konzept in der Studie ist „Action Competence“, das hier als „Handlungskompetenz“ übersetzt wird. Es beschreibt die Fähigkeit eines Individuums, gesundheitsförderliche Veränderungen im eigenen Leben und Umfeld zu bewirken. Dieses Konzept umfasst nicht nur Wissen und Fähigkeiten, sondern auch die Motivation und das Selbstvertrauen, aktiv zu werden und Veränderungen anzustoßen (Jensen, 1997 nach Griebler et al., 2017). Handlungskompetenz geht über individuelles Gesundheitsverhalten hinaus und beinhaltet auch die Fähigkeit, kritisch über die Ursachen von Gesundheitsproblemen zu reflektieren und kollektiv auf Veränderungen hinzuwirken.
Die Autoren führten eine umfassende Literaturrecherche durch, die folgende Schritte umfasste:
Einschlusskriterien:
Ausschlusskriterien:
Zwei Forscher überprüften unabhängig voneinander Abstracts und Volltexte auf Eignung. Meinungsverschiedenheiten wurden durch Diskussion oder Hinzuziehung eines dritten Forschers gelöst. Zur Datenextraktion wurden strukturierte Formulare verwendet.
Die Qualität der eingeschlossenen Studien wurde anhand von Checklisten für qualitative und quantitative Studien bewertet. Kriterien umfassten unter anderem die Klarheit der Forschungsfrage, die Angemessenheit des Forschungsansatzes und die Beschreibung von Stichprobe, Datenerhebung und -analyse.
Die Autoren verwendeten eine integrative Synthese basierend auf der qualitativen Textinterpretationsmethode nach Mayring (2000 nach Griebler et al., 2017). Dieser Ansatz ermöglicht die induktive Entwicklung von Kategorien aus den Daten in einem iterativen Prozess.
Von 5075 gescreenten Abstracts erfüllten 26 Publikationen (24 Studien/Projekte) die Einschlusskriterien. Die Autoren teilten die Studien in drei Gruppen ein:
Die Hauptergebnisse lassen sich in sieben Metakategorien zusammenfassen:
Nur eine Studie berichtete von positiven Veränderungen in der lokalen Gemeinschaft als Ergebnis partizipativer Gesundheitsförderung in der Schule. Dies umfasste die Schaffung neuer und/oder die Verbesserung bestehender Möglichkeiten für körperliche Aktivität.
Die Ergebnisse dieser systematischen Übersicht liefern wichtige Evidenz für die Effekte der Schülerpartizipation in der schulischen Gesundheitsförderung. Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung von „Handlungskompetenz“ bei den Schülern, die sich in verbesserten Fähigkeiten, Kompetenzen und der Motivation zur aktiven Gestaltung ihrer Gesundheit zeigt.
Diese Limitationen verdeutlichen die Komplexität der Evaluation partizipativer Ansätze in der schulischen Gesundheitsförderung. Die begrenzte Anzahl und Heterogenität der Studien erschweren es, allgemeingültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Zudem bleibt unklar, wie nachhaltig die beobachteten Effekte sind und inwieweit sie auf die breitere Schülerpopulation übertragen werden können. Die mangelnde Differenzierung zwischen verschiedenen Partizipationsformen und -intensitäten lässt offen, welche spezifischen Aspekte der Partizipation besonders wirksam sind. Diese Einschränkungen unterstreichen die Notwendigkeit weiterer, methodisch rigoroser Forschung in diesem Bereich, um ein umfassenderes und differenzierteres Bild der Wirksamkeit von Schülerpartizipation in der Gesundheitsförderung zu erhalten.
Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Übersichtsarbeiten zur Effektivität von Gesundheitsförderung in Schulen (z.B. Stewart-Brown, 2006 nach Griebler et al., 2017), die die Bedeutung von Schülerpartizipation und systemische Ansätzen betonen.
Die systematische Übersicht von Griebler et al. (2017) liefert wichtige erste Hinweise darauf, dass Schülerpartizipation in der schulischen Gesundheitsförderung zur Wirksamkeit von Interventionen beitragen kann. Sie unterstreicht die potenzielle Bedeutung eines partizipativen Ansatzes in der schulischen Gesundheitsförderung und bietet Fachkräften eine erste Grundlage für ihre Arbeit.
Allerdings macht die Studie auch deutlich, dass die vorhandene Evidenz noch begrenzt und teilweise widersprüchlich ist. Die identifizierten Limitationen, wie die geringe Anzahl an Studien, deren Heterogenität und der Mangel an Langzeitdaten, mahnen zur Vorsicht bei der Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse. Es bleibt unklar, welche spezifischen Formen der Partizipation besonders wirksam sind und wie nachhaltig die beobachteten Effekte sind.
Ein wichtiger Aspekt, der in zukünftigen Studien berücksichtigt werden sollte, ist die Kosteneffizienz partizipativer Ansätze. Partizipative Methoden erfordern oft einen höheren Zeit- und Ressourcenaufwand als traditionelle Top-down-Interventionen. Angesichts der Tatsache, dass möglicherweise nicht alle Schüler gleichermaßen von diesen Ansätzen profitieren, stellt sich die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Es ist wichtig zu untersuchen, ob der zusätzliche Aufwand für partizipative Methoden durch bessere oder nachhaltigere Gesundheitsoutcomes gerechtfertigt wird. Dabei sollten auch indirekte Effekte, wie die Entwicklung von Handlungskompetenzen oder Verbesserungen des Schulklimas, in die Bewertung einbezogen werden.
Zudem sollte erforscht werden, wie partizipative Ansätze so gestaltet werden können, dass sie möglichst viele Schüler erreichen und einbeziehen. Dies könnte bedeuten, verschiedene Formen und Intensitäten der Partizipation anzubieten, um unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht zu werden. Gleichzeitig sollte untersucht werden, ob und wie positive Effekte von direkt partizipierenden Schülern auf die breitere Schülerschaft übertragen werden können, um die Reichweite und Effizienz dieser Ansätze zu erhöhen.
Weitere Forschung ist dringend notwendig, um die optimalen Bedingungen für erfolgreiche Partizipation zu identifizieren, potenzielle negative Effekte zu minimieren und die langfristigen Auswirkungen zu untersuchen. Zukünftige Studien sollten methodisch rigoros gestaltet sein und verschiedene kulturelle und schulische Kontexte berücksichtigen.
Die Herausforderung für die Zukunft liegt darin, partizipative Ansätze evidenzbasiert und kosteneffizient so zu gestalten, dass sie nachhaltig zur Gesundheit und zum Wohlbefinden von möglichst vielen Schülern beitragen und gleichzeitig die Schulen als gesundheitsförderliche Settings stärken. Dabei sollten sowohl die Chancen als auch die möglichen Risiken und Grenzen der Schülerpartizipation berücksichtigt werden. Trotz der vielversprechenden Ansätze bleibt es wichtig, partizipative Methoden in der schulischen Gesundheitsförderung kritisch zu hinterfragen, kontinuierlich zu evaluieren und ihre Effizienz im Vergleich zu anderen Interventionsformen zu prüfen.
Griebler, U., Rojatz, D., Simovska, V., & Forster, R. (2017). Effects of student participation in school health promotion: a systematic review. Health Promotion International, 32(2), 195-206. https://doi.org/10.1093/heapro/dat090
Hart, R. (2008). Stepping back from ‚the ladder‘: Reflections on a model of participatory work with children. In A. Reid, B. B. Jensen, J. Nikel, & V. Simovska (Eds.), Participation and Learning: Perspectives on Education and the Environment, Health and Sustainability (pp. 19-31). Springer. https://doi.org/10.1007/978-1-4020-6416-6_2
Jensen, B. B. (1997). A case of two paradigms within health education. Health Education Research, 12(4), 419-428. https://doi.org/10.1093/her/12.4.419
Potvin, L. (2007). Managing Uncertainty through Participation. In D. McQueen & I. Kickbusch (Eds.), Health and Modernity: The Role of Theory in Health Promotion (pp. 103-128). Springer. https://doi.org/10.1007/978-0-387-37759-9_7
Simovska, V. (2007). The changing meanings of participation in school-based health education and health promotion: the participants‘ voices. Health Education Research, 22(6), 864-878. https://doi.org/10.1093/her/cym023
Stewart-Brown, S. (2006). What is the evidence on school health promotion in improving health or preventing disease and, specifically, what is the effectiveness of the health promoting schools approach? WHO Regional Office for Europe (Health Evidence Network report), Copenhagen.
World Health Organization. (1986). Ottawa Charter for Health Promotion. WHO, Geneva.