Partizipative Aktionsforschung
Ein Überblick
inForschung, Gesundheit28. Oktober 2024
Partizipative Aktionsforschung (PAR) stellt ein etabliertes Paradigma der empirischen Sozialforschung dar, das seit den 1940er Jahren kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Der Ansatz hat sich in verschiedenen Forschungsbereichen bewährt – von der Entwicklungsforschung über die Schulforschung bis hin zur Gesundheitsforschung. Besonders in der Gesundheitsförderung gewinnt PAR zunehmend an Bedeutung, da hier die aktive Einbindung der Zielgruppen für nachhaltige Veränderungen essentiell ist.
Die partizipative Aktionsforschung unterscheidet sich in mehreren zentralen Punkten von anderen empirischen sozialwissenschaftlichen Verfahren. Nach Wöhrer (2017) bedeutet der Begriff „partizipativ“, dass die Personen im Feld nicht nur als Forschungsobjekte einbezogen werden, sondern aktiv als Co-Forschende teilnehmen. Wie von Unger (2014, S. 1) betont, geht es dabei um eine „doppelte Zielsetzung: die Beteiligung von gesellschaftlichen Akteuren als Co-Forscher/innen sowie Maßnahmen zur individuellen und kollektiven Selbstbefähigung und Ermächtigung der Partner/innen“.
Die Intensität der Beteiligung kann dabei stark variieren. Whyte et al. (1990) beschreiben ein Spektrum von Co-Forschenden, die in Diskussionsrunden Anregungen zur Forschungsfrage geben, bis hin zu solchen, die eigenständig Forschung durchführen. Bergold und Thomas (2010, S. 337) weisen darauf hin, dass bei sehr geringer Beteiligung die Grenze zur „Scheinpartizipation“ fließend ist.
Der zweite zentrale Begriff, „Aktion“, verweist auf eine angestrebte Veränderung. Lewin (1948) forderte eine Wissenschaft mit praxisnahen Hypothesen, deren Ergebnisse zu konkreten Problemlösungen führen. Patricia Gayá Wicks et al. (2008) zeigen in ihrer Befragung von 30 führenden Aktionsforschern der Gegenwart, dass für die meisten die Zusammenarbeit mit Communities und die Veränderungen in der Praxis die wichtigsten Anliegen und Inspirationsquellen sind.
Ein weiteres charakteristisches Merkmal der PAR ist ihr zirkulärer Verlauf. Wadsworth (1998) beschreibt einen Forschungszyklus, der bei einem Problem beginnt und über Reflexion, Forschungsfrage und Datensammlung zu neuen Handlungsmöglichkeiten führt. Dieser Prozess dreht sich spiralförmig weiter und kann enden, wenn eine für alle zufriedenstellende Lösung gefunden wurde oder die Ressourcen erschöpft sind (Wöhrer, 2017).
Die epistemologischen Grundlagen der PAR basieren auf der Annahme eines zusätzlichen Erkenntnisgewinns durch das Wissen der Feldakteure. Whyte et al. (1990) argumentieren, dass die gewonnenen Erkenntnisse besonders valide sind, da sie von den Betroffenen im Feld geprüft werden. Nach Gaventa und Cornwall (2008) sowie Arztmann et al. (2016) ist wissenschaftliches Wissen, das unter Einbezug der unmittelbar Betroffenen erzeugt wird, gültiger als Wissen, das nur von Wissenschaftlern allein produziert wird.
Ein anschauliches Beispiel für die praktische Umsetzung partizipativer Aktionsforschung bietet die Entwicklung des REBOUND-Programms, eines medienbasierten Risikokompetenzprogramms für 14- bis 25-Jährige (Kröninger-Jungaberle et al., 2014). Das Programm wurde zwischen 2010 und 2012 in einem partizipativen Bottom-up/Top-down-Prozess mit Jugendlichen, Lehrern und Forschern entwickelt.
Kröninger-Jungaberle et al. (2014) beschreiben die Bildung einer Forschungsgruppe und einer Partizipativen Entwicklungsgruppe (PDG) an der Universität Heidelberg als Ausgangspunkt. Der Entwicklungsprozess umfasste eine Pilotphase mit drei Schulklassen und ein Methodenlabor mit wöchentlichen Treffen. Besonders innovativ war die Produktion von 10 Kurzfilmen, die auf realen Erfahrungen aus Längsschnittstudien basierten.
Die Autoren berichten, wie das Programm in drei eng beobachteten Klassen getestet wurde, wobei qualitative Daten durch partizipative Aktionsforschung erhoben wurden. Das Feedback führte zu einer Programmrevision mit drei zusätzlichen Interventionen: Ressourcen für schulische Drogenpolitik, Feldforschungselemente und Videoprojekte der Schüler (Kröninger-Jungaberle et al., 2014).
Bergold und Thomas (2010) sowie von Unger (2014) weisen darauf hin, dass PAR bis heute bei Kollegen in der Wissenschaft sowie bei Fördergebern legitimationsbedürftig ist. Dies resultiert nach Altrichter (1990) vor allem daraus, dass die Wissenschaftlichkeit dieses Ansatzes im deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Mainstream nicht unbedingt anerkannt wird. Besonders die angestrebte Veränderung der sozialen Wirklichkeit und der Einbezug von Akteuren aus dem Feld in die Analyse weichen die Grenzen zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen auf (Wöhrer, 2017).
Die vorliegende Analyse zeigt, dass partizipative Aktionsforschung einen fundierten methodischen Rahmen für die Entwicklung nachhaltiger Interventionen in der Gesundheitsförderung bietet. Wie das Beispiel des REBOUND-Programms (Kröninger-Jungaberle et al., 2014) verdeutlicht, ermöglicht der Ansatz die systematische Integration von Praxis- und Forschungswissen und die aktive Beteiligung der Zielgruppen.
Für die Zukunft der Gesundheitsförderung betont von Unger (2014) die Bedeutung von Programmen, die die Zielgruppen genuine einbeziehen und ermächtigen. Dies erfordert jedoch, wie Wöhrer (2017) hervorhebt, Zeit, echtes institutionelles Engagement und fundierte Ausbildung der Beteiligten.
Altrichter, H. (1990). Ist das noch Wissenschaft? Darstellung und wissenschaftstheoretische Diskussion einer von Lehrern betriebenen Aktionsforschung. Profil.
Arztmann, M., Wintersteller, T., & Wöhrer, V. (2016). Zur Rolle von Co-Forschenden: Qualitätskriterien partizipativer Forschung. In V. Wöhrer et al. (Hrsg.), Partizipative Aktionsforschung mit Kindern und Jugendlichen (S. 27-48). Springer VS.
Bergold, J., & Thomas, S. (2010). Partizipative Forschung. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 333-344). VS Verlag.
Gaventa, J., & Cornwall, A. (2008). Power and knowledge. In P. Reason & H. Bradbury (Hrsg.), The SAGE Handbook of Action Research (S. 172-189). SAGE.
Kröninger-Jungaberle, H., Nagy, E., von Heyden, M., DuBois, F., & the REBOUND Participative Development Group. (2014). REBOUND: A media-based life skills and risk education programme. Health Education Journal. https://doi.org/10.1177/0017896914557097
Lewin, K. (1948). Resolving social conflicts: Selected papers on group dynamics. Harper & Row.
von Unger, H. (2014). Partizipative Forschung: Einführung in die Forschungspraxis. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01290-8
Wadsworth, Y. (1998). What is Participatory Action Research? Action Research International, Paper 2.
Whyte, W. F., Greenwood, D. J., & Lazes, P. (1990). Participatory Action Research: Through Practice to Science in Social Research. American Behavioral Scientist, 32(5), 513-551. https://doi.org/10.1177/0002764289032005003
Wicks, P. G., Reason, P., & Bradbury, H. (2008). Living inquiry: Personal, political and philosophical groundings for action research practice. In P. Reason & H. Bradbury (Hrsg.), The SAGE Handbook of Action Research (S. 15-30). SAGE.
Wöhrer, V. (2017). Was ist Partizipative Aktionsforschung? Warum mit Kindern und Jugendlichen? In V. Wöhrer et al. (Hrsg.), Partizipative Aktionsforschung mit Kindern und Jugendlichen (S. 27-48). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13781-6_3