Der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung stellen Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung vor neue Herausforderungen. Der kürzlich im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichte Artikel „Ethik des langen Lebens“ von Hans-Jörg Ehni (2024) beleuchtet ethische Aspekte der Lebensverlängerung und des Alterns, die für unser Fachgebiet hochrelevant sind. Dieser Beitrag fasst die Kernaussagen des Artikels zusammen und diskutiert deren Bedeutung für die Praxis der Gesundheitsförderung.

Haupterkenntnisse des Artikels

1. Die Revolution des langen Lebens als zivilisatorische Errungenschaft

Ehni (2024) betont, dass der kontinuierliche Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung seit 1850 als große zivilisatorische Errungenschaft zu werten ist. Gleichzeitig stellt er fest, dass viele den demografischen Wandel und eine weitere Steigerung der Lebenserwartung skeptisch sehen. Diese Skepsis wurzelt laut Ehni in tief verankerten kulturellen Einstellungen zum Alter und zu älteren Menschen.

2. Apologismus und Ageismus als Hindernisse

Der Autor identifiziert zwei zentrale Konzepte, die einer positiven Sicht auf ein langes Leben im Wege stehen:

  • Apologismus: Darunter versteht Ehni kulturelle und wissenschaftliche Positionen, die eine Verlängerung der menschlichen Lebensspanne weder für möglich noch für erstrebenswert halten. Er sieht darin ein mögliches Hindernis für die Unterstützung notwendiger biomedizinischer Forschung.
  • Ageismus: Altersdiskriminierung und negative Altersstereotype sind laut Ehni nicht nur Gründe für Benachteiligung älterer Menschen, sondern korrelieren auch mit schlechterer körperlicher und psychischer Gesundheit sowie niedrigerem allgemeinem Wohlbefinden.

3. Grundsätze einer Ethik des langen Lebens

Ehni (2024) formuliert mehrere Grundsätze für eine Ethik des langen Lebens, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind.

Grundsatz Beschreibung Bedeutung
Wertschätzung fördern Langes Leben als zivilisatorische Errungenschaft anerkennen Bildet die Basis für ein positives gesellschaftliches Altern
Alter wertschätzen Als integralen und wertvollen Teil des Lebens betrachten Fördert die Integration älterer Menschen und bekämpft Ageismus
Aktiv gestalten Lebensstil und Kompetenzen für ein längeres Leben entwickeln Ermöglicht individuelle Vorbereitung und Anpassung an ein langes Leben
Rahmenbedingungen Gesellschaftliche und kulturelle Unterstützung für ein langes Leben schaffen Sichert die notwendigen Strukturen für ein erfülltes langes Leben
Forschung fördern Biogerontologie und andere relevante Forschungsfelder unterstützen Trägt zur Verbesserung der Lebensqualität im Alter bei

Tabelle 1: Grundsätze einer Ethik des langen Lebens nach Ehni (2024)

4. Biogerontologie und Langlebigkeitsdividende

Der Artikel diskutiert das Konzept der „Langlebigkeitsdividende“ nach Olshansky et al. (2006). Dieses postuliert, dass Investitionen in die biologische Alternsforschung zu einer weiteren Verbesserung der Gesundheit im Alter und einem Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung führen könnten. Ehni argumentiert, dass solche Forschung unterstützt werden sollte, um den Gewinn der ersten „Revolution der Lebensverlängerung“ zu sichern und eine zweite Revolution in Aussicht zu stellen.

Implikationen für Prävention und Gesundheitsförderung

  1. Überdenken von Altersbildern und -stereotypen: Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung sollten ihre eigenen Altersbilder kritisch reflektieren und darauf achten, keine negativen Stereotype zu reproduzieren.
  2. Lebenslaufperspektive in der Gesundheitsförderung: Präventionsmaßnahmen sollten die Kontinuität des Lebens berücksichtigen und bereits in früheren Lebensphasen ansetzen.
  3. Förderung von Gesundheitskompetenz für ein langes Leben: Menschen aller Altersgruppen sollten dabei unterstützt werden, die nötigen Kompetenzen für ein gesundes langes Leben zu entwickeln.
  4. Bekämpfung von Ageismus als Gesundheitsförderung: Anti-Ageismus-Maßnahmen sollten als wichtiger Bestandteil der Gesundheitsförderung verstanden und implementiert werden.
  5. Berücksichtigung sozialer Determinanten der Gesundheit: Präventionsmaßnahmen sollten verstärkt auf die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten abzielen.
  6. Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern: Eine verstärkte Zusammenarbeit mit Gerontologen, Ethikern, Soziologen und Biogerontologen ist notwendig.
  7. Unterstützung biogerontologischer Forschung: Fachkräfte sollten sich mit den neuesten Erkenntnissen dieser Disziplin auseinandersetzen und deren Potenzial für präventive Ansätze ausloten.

Fazit

Der Artikel von Ehni (2024) bietet wichtige Denkanstöße für eine ethisch reflektierte und zukunftsorientierte Praxis der Gesundheitsförderung im Kontext des demografischen Wandels. Er fordert uns auf, das lange Leben als Chance zu begreifen und aktiv zu gestalten, statt es als Problem zu sehen. Für Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung bedeutet dies, Altersbilder zu hinterfragen, lebenslauforientierte Ansätze zu stärken und Ageismus aktiv zu bekämpfen. Gleichzeitig gilt es, die Potenziale neuer Forschungserkenntnisse, etwa aus der Biogerontologie, für die Praxis nutzbar zu machen. Nur so können wir dazu beitragen, dass ein langes Leben auch ein gesundes und erfülltes Leben ist.

Literaturverzeichnis

Ehni, H.-J. (2024). Ethik des langen Lebens. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 67, 572-577. https://doi.org/10.1007/s00103-024-03866-w

Olshansky, S. J., Perry, D., Miller, R. A., & Butler, R. N. (2006). In pursuit of the longevity dividend. The Scientist, 20, 28-36.