Evidenzbasierung in der Prävention und Gesundheitsförderung
Kommunikative Herausforderungen und Lösungsansätze
inPrävention13. Mai 2022
Die Evidenzbasierung von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung ist von zentraler Bedeutung für deren Wirksamkeit, Effizienz und nachhaltige Etablierung im Gesundheitssystem. Gleichzeitig stellt die Kommunikation über evidenzbasierte Ansätze eine erhebliche Herausforderung dar. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung der Evidenzbasierung, erklärt kommunikative Herausforderungen basierend auf dem Kommunikationsmodell von Schulz von Thun und zeigt Lösungsansätze auf.
Die Evidenzbasierung in Prävention und Gesundheitsförderung ist essenziell für:
Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass viele Interventionen nicht oder nur unzureichend evidenzbasiert sind. Häufig werden Maßnahmen ohne Bezug zum aktuellen Forschungsstand entwickelt und umgesetzt. Evaluationen beschränken sich oft auf die Prozessebene, ohne belastbare Aussagen zur Wirksamkeit zu ermöglichen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [BZgA], 2021).
Trotz der Bedeutung von Evidenzbasierung gibt es verschiedene kommunikative Hürden bei deren Umsetzung:
Ein zentrales Hindernis ist die mangelnde Klarheit in der Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren. Wissenschaftler, Praktiker und politische Entscheidungsträger (einschließlich der Adressaten von Maßnahmen) haben oft unterschiedliche Schwerpunkte und „Sprachen“, was zu Missverständnissen und Konflikten führen kann.
Zudem können „Beziehungsfallen“ entstehen, bei denen die Sachebene von der Beziehungsebene überlagert wird. Dies kann dazu führen, dass Empfehlungen aus persönlichen statt inhaltlichen Gründen abgelehnt oder angenommen werden.
Friedemann Schulz von Thun entwickelte das „Kommunikationsquadrat“, das die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation verdeutlicht (Schulz von Thun, 2019). Demnach enthält jede Nachricht vier Aspekte:
Aspekt | Beschreibung |
---|---|
Sachinhalt | Die konkrete Information |
Selbstoffenbarung | Was der Sender über sich preisgibt |
Beziehung | Wie der Sender zum Empfänger steht |
Appell | Was der Sender beim Empfänger erreichen möchte |
Dieses Modell hilft zu verstehen, warum Kommunikation über evidenzbasierte Ansätze oft komplex ist und auf verschiedenen Ebenen Herausforderungen mit sich bringt.
Um diese Herausforderungen zu adressieren, können folgende kommunikative Strategien hilfreich sein:
Ebene | Lösungsansätze |
---|---|
Sachebene | – Verständliche Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse |
– Aufzeigen konkreter Anwendungsfälle | |
– Transparenz bezüglich Grenzen und Unsicherheiten | |
Selbstoffenbarungsebene | – Teilen eigener Erfahrungen |
– Signalisieren von Lernbereitschaft | |
– Anerkennung für Praxiswissen | |
Beziehungsebene | – Einbeziehung aller Beteiligten in Entscheidungen |
– Kontinuierlicher Dialog und Ansprechbarkeit | |
– Empathie für Sorgen und Vorbehalte | |
Appellebene | – Verdeutlichung der Vorteile evidenzbasierter Ansätze |
– Aufzeigen konkreter Umsetzungsschritte | |
– Betonung positiver Veränderungspotenziale |
Basierend auf Schulz von Thuns (2019) Kommunikationsmodell lassen sich weitere Lösungsansätze ableiten:
Zur praktischen Umsetzung der kommunikativen Lösungsansätze sind folgende Schritte und Konzepte relevant:
Communities That Care (CTC) ist ein evidenzbasierter Ansatz zur kommunalen Prävention, der die Herausforderungen der Kommunikation über Evidenz gezielt adressiert. CTC zeichnet sich durch eine breite Stakeholder-Beteiligung und einen mehrstufigen Kommunikationsprozess aus. Von Beginn an werden verschiedene kommunale Akteure einbezogen, darunter Vertreter aus Verwaltung, Bildung, Gesundheitswesen, Polizei, Jugendarbeit und Zivilgesellschaft. Diese Vielfalt gewährleistet, dass unterschiedliche Perspektiven in den Präventionsprozess einfließen. Die Kommunikation erfolgt systematisch: Zunächst werden kommunale Schlüsselpersonen für evidenzbasierte Prävention sensibilisiert. Ein repräsentatives Gemeindeboard wird gebildet und intensiv geschult. Dieses Gremium interpretiert gemeinsam die Ergebnisse der CTC-Jugendumfrage, die Daten zu lokalen Risiko- und Schutzfaktoren liefert. Bei der Kommunikation dieser Daten werden alle Ebenen des Kommunikationsquadrats berücksichtigt:
CTC setzt verschiedene Kommunikationskanäle ein und bietet Schulungen in Kommunikationskompetenzen an. Regelmäßige Feedbackschleifen ermöglichen eine kontinuierliche Verbesserung der Kommunikationsstrategien. Durch diesen umfassenden Ansatz gelingt es CTC, eine gemeinsame Sprache für evidenzbasierte Prävention zu entwickeln und Akzeptanz für datenbasierte Entscheidungen zu schaffen. Evaluationen zeigen, dass CTC-Gemeinden häufiger evidenzbasierte Programme umsetzen und positive Effekte auf Jugendliche erzielen. Das Beispiel verdeutlicht, wie durch gezielte Kommunikationsstrategien die Herausforderungen bei der Implementierung evidenzbasierter Ansätze überwunden werden können.
Die Kommunikation über evidenzbasierte Ansätze in der Prävention und Gesundheitsförderung erfordert eine differenzierte Herangehensweise, die alle Ebenen des Kommunikationsquadrats berücksichtigt. Nur so können Fachkräfte und Zielgruppen für evidenzbasierte Maßnahmen gewonnen werden.
Die Umsetzung der vorgestellten kommunikativen Lösungsansätze erfordert Zeit, Ressourcen und den Willen aller Beteiligten. Der Aufwand lohnt sich jedoch, da nur durch eine evidenzbasierte Herangehensweise Prävention und Gesundheitsförderung ihr volles Potenzial entfalten können.
Für die Zukunft wird es wichtig sein, einen kontinuierlichen Lernprozess zu etablieren, die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Bereich Kommunikationskompetenzen zu stärken und die Chancen digitaler Medien zu nutzen. Ziel ist es, eine Kultur der Evidenzbasierung zu etablieren, in der die kritische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen als Chance für Verbesserung und Innovation gesehen wird.
Die Verbesserung der Kommunikation über evidenzbasierte Ansätze ist nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätsentwicklung in Prävention und Gesundheitsförderung. Sie trägt dazu bei, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis ankommen und umgesetzt werden, und dass umgekehrt praktische Erfahrungen in die Forschung einfließen.
Die Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, diese Kommunikationsstrategien kontinuierlich weiterzuentwickeln und an neue Erkenntnisse und sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Prävention und Gesundheitsförderung auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit leisten können.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. (2021). Memorandum zur Evidenzbasierung in Prävention und Gesundheitsförderung. Köln: BZgA.
Schulz von Thun, F. (2019). Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation (55. Aufl.). Rowohlt Taschenbuch Verlag.