Heterogenität in der Suchtprävention
Interaktionstypologie von Jugendlichen
inPrävention3. März 2015
In der Suchtprävention und Gesundheitsförderung stehen Fachkräfte vor der Herausforderung, Programme und Interventionen für heterogene Zielgruppen zu entwickeln und umzusetzen. Eine Publikation von Kröninger-Jungaberle und Schuldt (2014) beleuchtet die Vielfalt der Interaktionsmuster von Jugendlichen in präventiven Schulprogrammen und liefert Erkenntnisse für eine differenzierte Herangehensweise. Dieser Blogbeitrag fasst die Hauptergebnisse der Studie zusammen und diskutiert deren Relevanz für die Praxis der Suchtprävention.
Die Autoren kritisieren die vorherrschende „Illusion der Zielgruppen-Homogenität“ in der Präventionsforschung und -praxis. Um ein differenzierteres Bild zu gewinnen, entwickelten sie eine empirisch begründete Typologie von Schüler-Interaktionsmustern. Die Studie basiert auf:
Methodisch folgt die Studie dem Ansatz der „constructed types“ nach McKinney (1970). Dabei werden empirische Daten mit konzeptionellen Überlegungen kombiniert, um realitätsnahe, aber theoretisch fundierte Typen zu entwickeln. Die Autoren nutzten zunächst die von Praktikern identifizierten „existential types“ als Ausgangspunkt. In einem mehrstufigen Prozess wurden diese dann systematisiert, reduziert und anhand des qualitativen Datenmaterials empirisch verankert. Die resultierenden Typen wurden schließlich anhand von vier Hauptmerkmalen auf einer Ordinalskala eingeordnet:
Dieser methodische Ansatz ermöglicht es, die Komplexität und Dynamik von Interaktionsmustern zu erfassen, ohne in starre Kategorisierungen zu verfallen.
Die Studie identifiziert acht distinkte Interaktionstypen von Jugendlichen in Präventionsprogrammen. Im Folgenden werden diese Typen detaillierter erläutert:
Ein wichtiger Befund ist, dass die Interaktionsmuster nicht statisch sind. Jugendliche können im Verlauf eines Präventionsprogramms zwischen verschiedenen Mustern wechseln. Zudem können sich die Typen überlappen – ein Schüler kann Merkmale mehrerer Interaktionstypen aufweisen.
Die Autoren betonen, dass jeder Interaktionstyp zusätzlich durch unterschiedliche Grade an Konsumerfahrung mit psychoaktiven Substanzen moduliert wird. Dies erhöht die Komplexität weiter und erfordert eine noch differenziertere Herangehensweise in der Prävention.
Die Studie verweist auf den Einfluss des Interaktionsstils der Lehrkräfte. Dieser kann die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen stark beeinflussen, wie auch andere Forschungsarbeiten zeigen (z.B. Pettigrew et al., 2013).
Präventionsfachkräfte sollten für die Vielfalt der Interaktionsmuster sensibilisiert werden. Eine differenzierte Wahrnehmung ermöglicht es, flexibel und adaptiv auf unterschiedliche Schülertypen zu reagieren. Beispielsweise könnten „Die Authentischen“ gezielt als positive Multiplikatoren eingebunden werden, während bei „Desillusionierten“ zunächst Motivationsarbeit im Vordergrund stehen sollte.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Lehrkräfte und andere Präventionsfachkräfte gezielt in Interaktionskompetenz zu schulen. Die Autoren schlagen vor:
Solche Trainings sollten die identifizierten Interaktionstypen berücksichtigen und Strategien für den Umgang mit ihnen vermitteln.
Bestehende Präventionsprogramme sollten dahingehend überprüft werden, ob sie der Heterogenität der Zielgruppe gerecht werden. Eine Möglichkeit wäre, modulare Elemente zu integrieren, die flexibel an verschiedene Interaktionstypen angepasst werden können.
Die Studie zeigt, dass authentische Kommunikation und persönlicher Selbstbezug positive Effekte auf die Gruppeninteraktion haben können. Präventionsprogramme sollten daher Räume für authentischen Austausch schaffen und Methoden integrieren, die Selbstreflexion fördern.
Die identifizierten Interaktionsmuster sind stark durch Peer-Beziehungen geprägt. Präventionsansätze sollten die Gruppendynamik aktiv einbeziehen, beispielsweise durch gezielte Peer-Education-Elemente oder Methoden zur Förderung eines positiven Klassenklimas.
Die unterschiedlichen Grade an Konsumerfahrung erfordern differenzierte Ansätze. Programme sollten sowohl abstinenzorientierte als auch schadensminimierende Elemente beinhalten und flexibel an den Erfahrungsstand der Teilnehmenden angepasst werden können.
Die Studie von Kröninger-Jungaberle und Schuldt liefert wichtige Erkenntnisse zur Heterogenität von Zielgruppen in der Suchtprävention. Sie macht deutlich, dass ein „One-size-fits-all“-Ansatz der Komplexität des Feldes nicht gerecht wird. Für die Weiterentwicklung evidenzbasierter Prävention ist es entscheidend, die Vielfalt der Interaktionsmuster zu berücksichtigen und Fachkräfte entsprechend zu qualifizieren.
Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Bedeutung einer prozessorientierten Präventionsforschung. Neben der Wirksamkeit von Programminhalten sollten verstärkt Implementierungsprozesse und Interaktionsdynamiken untersucht werden. Nur so können wir zu einem umfassenden Verständnis erfolgreicher Suchtprävention gelangen.
Für Präventionsfachkräfte bietet die vorgestellte Interaktionstypologie einen wertvollen Orientierungsrahmen. Sie kann als Reflexionsgrundlage dienen, um die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Typologie auf qualitativen Daten basiert und weitere Forschung zur Validierung und Operationalisierung notwendig ist.
Insgesamt leistet die Studie einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der Suchtprävention. Sie regt dazu an, den Blick zu weiten und Prävention als komplexes Interaktionsgeschehen zu begreifen. Diese differenzierte Perspektive kann dazu beitragen, die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit präventiver Interventionen zu erhöhen.
Kröninger-Jungaberle, H., & Schuldt, F. (2014). Abschied von der Homogenität – Eine Interaktions-Typologie von Jugendlichen in der Prävention des Missbrauchs von Alkohol und anderen Drogen. rausch – Wiener Zeitschrift für Suchttherapie, 3(1), 45-57.
McKinney, J. C. (1970). Sociological Theory and the process of Typification. In J. C. McKinney & E. A. Tiryakian (Eds.), Theoretical Sociology. Perspectives and Developments (pp. 235-269). New York: Meredith.
Pettigrew, J., Miller-Day, M., Shin, Y., Hecht, M. L., Krieger, J. L., & Graham, J. W. (2013). Describing Teacher-Student Interactions: A Qualitative Assessment of Teacher Implementation of the 7th Grade keepin‘ it REAL Substance Use Intervention. American Journal of Community Psychology, 51(1-2), 43-56.