Memorandum Evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung
Ein Wegweiser für die Praxis
inEthik, Forschung, Gesundheit, Prävention20. Dezember 2021
In einer Zeit, in der die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung zunehmend erkannt wird, stehen Fachkräfte vor der Herausforderung, ihre Arbeit auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen. Das Memorandum „Evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet hierzu einen wegweisenden Rahmen. Dieser Blogbeitrag fasst die Kernpunkte des Memorandums zusammen und diskutiert deren Relevanz für die praktische Arbeit im Feld der Prävention und Gesundheitsförderung.
Das Memorandum definiert evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung als die Integration der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse mit praktischer Expertise und den Werten und Präferenzen der Zielgruppen. Diese Definition betont die Notwendigkeit, nicht nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu setzen, sondern auch die Erfahrungen aus der Praxis und die Bedürfnisse der Zielgruppen zu berücksichtigen.
Dabei werden fünf Kernprinzipien hervorgehoben:
Diese Prinzipien bilden die Grundlage für eine evidenzbasierte Praxis und sollten in allen Phasen der Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen berücksichtigt werden. Sie zielen darauf ab, die Qualität und Wirksamkeit von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu verbessern und gleichzeitig eine verantwortungsvolle und ethische Praxis zu fördern.
Eine zentrale Erkenntnis des Memorandums ist die Anerkennung eines Spektrums wissenschaftlicher Absicherung von Interventionen. Dieses reicht von „Praxisprojekten“ über „BZgA Promising Practice“ bis hin zu „BZgA Best Evidence“. Diese Kategorisierung ermöglicht es Praktikern, den Evidenzgrad ihrer Maßnahmen einzuordnen und entsprechende Schritte zur Weiterentwicklung zu planen.
Kategorie | Beschreibung | Kriterien |
---|---|---|
Praxisprojekte | Grundlegende Dokumentation | – Ausreichend gut beschrieben für Replizierung |
BZgA Promising Practice | Plausible Wirksamkeitsvoraussetzungen | – Gut beschrieben/dokumentiert – Erfüllt BZgA Kriterien guter Praxis ODER – Theoretisches/logisches Modell ODER – Erste empirische Ergebnisse zu intendierten Veränderungen |
BZgA Best Evidence | Kausaler Wirksamkeitsnachweis | – Erfüllt alle Kriterien von „Promising Practice“ – Klarer Wirksamkeitsnachweis unter Alltagsbedingungen |
Tabelle 1: Kategorien der wissenschaftlichen Absicherung von Interventionen in der Prävention und Gesundheitsförderung gemäß BZgA-Memorandum
Diese Kategorisierung trägt der Realität Rechnung, dass nicht alle Maßnahmen sofort den höchsten Evidenzstandards entsprechen können, aber dennoch wertvoll für die Praxis sein können. Sie ermutigt zur kontinuierlichen Verbesserung und Evaluation von Interventionen.
Das Memorandum betont die Bedeutung der Transferabilität von Interventionen und deren Kontextabhängigkeit. Es wird hervorgehoben, dass die Wirksamkeit einer Maßnahme stark vom Umsetzungskontext abhängen kann. Fachkräfte werden ermutigt, bei der Übertragung von Interventionen in neue Kontexte sorgfältig die Rahmenbedingungen zu prüfen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
Wichtige Aspekte der Kontextabhängigkeit umfassen:
Das Memorandum schlägt vor, bei der Übertragung von Interventionen folgende Schritte zu beachten:
Diese sorgfältige Betrachtung der Transferabilität soll sicherstellen, dass evidenzbasierte Interventionen nicht blind übernommen, sondern intelligent an neue Kontexte angepasst werden.
Ein weiterer Schlüsselaspekt ist die Forderung nach einer engeren Vernetzung von Wissenschaft und Praxis. Das Memorandum schlägt konkrete Schritte vor, wie diese Zusammenarbeit gestärkt werden kann, um die Evidenzbasierung im Feld voranzutreiben.
Vorgeschlagene Maßnahmen umfassen:
Das Memorandum betont, dass eine solche Vernetzung in beide Richtungen wirken sollte: Einerseits sollen wissenschaftliche Erkenntnisse schneller und effektiver in die Praxis übertragen werden. Andererseits sollen Erfahrungen und Herausforderungen aus der Praxis stärker in die Forschungsagenden einfließen.
Das Memorandum hebt die wachsende Bedeutung der Implementierungsforschung hervor. Diese Forschungsrichtung untersucht, wie evidenzbasierte Interventionen erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden können. Sie beschäftigt sich mit Fragen wie:
Die Erkenntnisse aus der Implementierungsforschung sollen dazu beitragen, die Kluft zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Anwendung zu überbrücken.
Das Memorandum betont die Notwendigkeit, ethische Aspekte bei der Umsetzung evidenzbasierter Prävention und Gesundheitsförderung zu berücksichtigen. Dazu gehören:
Es wird hervorgehoben, dass evidenzbasiertes Handeln nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch ethisch reflektiert sein muss.
Das Memorandum unterstreicht die Bedeutung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung in der Prävention und Gesundheitsförderung. Dies umfasst:
Die kontinuierliche Qualitätsentwicklung wird als wesentlicher Bestandteil einer evidenzbasierten Praxis gesehen, die sich ständig weiterentwickelt und an neue Erkenntnisse und Herausforderungen anpasst.
Abbildung 1: Flussdiagramm des evidenzbasierten Entscheidungsprozesses in der Prävention und Gesundheitsförderung. Der Prozess umfasst acht Hauptschritte, beginnend mit der Problemdefinition und endend mit der Evaluation, wobei eine kontinuierliche Rückkopplung zum Ausgangspunkt stattfindet. Ein zentraler Entscheidungspunkt zur Beurteilung der Evidenzlage ermöglicht bei Bedarf eine erneute Evidenzsuche. (Quelle: Eigene Darstellung basierend auf De Bock, Dietrich & Rehfuess, 2021)
Für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung ergeben sich aus dem Memorandum mehrere wichtige Handlungsempfehlungen:
Praktiker sollten sich angewöhnen, vor der Planung und Umsetzung von Maßnahmen systematisch nach vorhandener Evidenz zu suchen. Das Memorandum empfiehlt hierzu die Nutzung von Portalen für systematische Übersichtsarbeiten wie die Cochrane Library oder Campbell Collaboration. Diese Ressourcen bieten einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu verschiedenen Interventionsansätzen.
Bei der Auswahl von Interventionen sollten Fachkräfte nicht nur auf die Wirksamkeitsnachweise achten, sondern auch die Übertragbarkeit auf den eigenen Kontext kritisch prüfen. Das Memorandum stellt hierzu eine Checkliste zur Transferabilitätsbeurteilung vor, die bei dieser Einschätzung helfen kann. Wichtige Aspekte sind dabei:
Auch wenn eine Intervention als „Best Evidence“ eingestuft ist, sollten Praktiker ihre Umsetzung sorgfältig dokumentieren und evaluieren. Dies dient nicht nur der Qualitätssicherung, sondern trägt auch zur Weiterentwicklung der Evidenzbasis bei. Das Memorandum empfiehlt hier einen zyklischen Prozess von Implementierung, Evaluation und Anpassung.
Fachkräfte werden ermutigt, sich aktiv an der Generierung neuer Evidenz zu beteiligen. Dies kann durch die systematische Dokumentation von Praxiserfahrungen, die Teilnahme an Forschungsprojekten oder die Initiierung eigener Evaluationsstudien geschehen. Das Memorandum betont die Bedeutung von „practice-based evidence“ als wichtige Ergänzung zur „evidence-based practice“.
Um die Prinzipien der Evidenzbasierung in der Praxis umzusetzen, ist eine kontinuierliche Weiterbildung unerlässlich. Fachkräfte sollten Fortbildungsangebote zur evidenzbasierten Praxis nutzen und sich in fachlichen Netzwerken engagieren, um den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu fördern.
Das BZgA-Memorandum zur evidenzbasierten Prävention und Gesundheitsförderung bietet einen umfassenden Rahmen für die Weiterentwicklung des Feldes. Es fordert Fachkräfte auf, ihre Arbeit stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten, ohne dabei die Komplexität der Praxis aus den Augen zu verlieren. Die vorgeschlagenen Konzepte und Instrumente bieten konkrete Ansatzpunkte, um die Qualität und Wirksamkeit von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu verbessern.
Die Umsetzung dieser Prinzipien erfordert ein Umdenken in der Praxis und eine Bereitschaft zur kontinuierlichen Reflexion und Anpassung des eigenen Handelns. Gleichzeitig eröffnet sie neue Möglichkeiten für Innovation und Professionalisierung im Feld. Indem Fachkräfte die Brücke zwischen Forschung und Praxis aktiv mitgestalten, können sie einen wesentlichen Beitrag zur Etablierung der Prävention und Gesundheitsförderung als evidenzbasierte Disziplin leisten.
De Bock, F., Dietrich, M., & Rehfuess, E. (2021). Evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung. Memorandum der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Köln: BZgA. https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/forschung/BZgA_Memorandum_Evidenzbasierung_2021.pdf