Nachhaltigkeit von Innovationen in Prävention und Gesundheitsförderung
Erkenntnisse aus der Bildungsforschung
inBildung, Forschung, Prävention23. April 2025
Dieser Blogbeitrag basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel von Prenger, R., Tappel, A.P.M., Poortman, C.L. & Schildkamp, K. (2022). How can educational innovations become sustainable? A review of the empirical literature. Frontiers in Education, 7, 970715. https://doi.org/10.3389/feduc.2022.970715
Die Implementierung neuer Ansätze und Programme ist sowohl im Bildungsbereich als auch in der Prävention und Gesundheitsförderung eine zentrale Herausforderung. Doch die eigentliche Schwierigkeit besteht nicht darin, eine Innovation zu starten, sondern sie nachhaltig in die organisatorischen Strukturen zu integrieren. Wie Hargreaves und Fink (2012) treffend formulierten: „Der schwierigste Teil jeder Bildungsinnovation ist nicht, wie man anfängt, sondern wie man die Innovation innerhalb der Organisation aufrechterhält.“
Diese Erkenntnis hat eine unmittelbare Relevanz für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung. Täglich werden neue Programme initiiert, Interventionen implementiert und Ansätze erprobt – doch wie viele davon überdauern die anfängliche Begeisterung und werden zu einem festen Bestandteil der täglichen Praxis? Der von Prenger und Kollegen (2022) durchgeführte systematische Review bietet wertvolle Einblicke in die Faktoren, die die Nachhaltigkeit von Innovationen beeinflussen. Die Autoren haben 44 empirische Studien aus dem Bildungsbereich analysiert, um ein umfassendes Bild der Nachhaltigkeitsfaktoren zu zeichnen.
Obwohl der Review sich auf den Bildungsbereich konzentriert, sind die Erkenntnisse in hohem Maße auf den Präventions- und Gesundheitsförderungssektor übertragbar. Beide Bereiche teilen ähnliche Herausforderungen: Sie arbeiten mit unterschiedlichen Zielgruppen, sind auf langfristige Verhaltens- und Systemänderungen ausgerichtet und müssen mit begrenzten Ressourcen nachhaltige Wirkungen erzielen. Diese Parallelen ermöglichen einen wertvollen Wissenstransfer vom Bildungs- in den Gesundheitssektor.
Eine zentrale Erkenntnis des Reviews ist, dass Nachhaltigkeit mehr bedeutet als die bloße Fortsetzung einer Innovation. Basierend auf ihrer umfassenden Analyse definieren die Autoren Nachhaltigkeit als „Prozess der Integration der Kernaspekte der Intervention in organisatorische Routinen, die an die laufende Arbeit anpassbar sind, mit Aufrechterhaltung oder Fortsetzung verbesserter Ergebnisse“ (Prenger et al., 2022). Diese Definition hebt vier wesentliche Elemente hervor:
1. Integration in organisatorische Routinen: Nachhaltige Innovationen werden Teil der regulären Abläufe und Strukturen einer Organisation. Sie werden nicht mehr als „etwas Neues“ oder „zusätzliche Aufgabe“ wahrgenommen, sondern als selbstverständlicher Bestandteil der täglichen Praxis. Dies spiegelt sich in wiederkehrenden Handlungsmustern wider, an denen verschiedene Akteure beteiligt sind (Coburn & Turner, 2012).
2. Beibehaltung der Kernaspekte: Während Anpassungen unvermeidlich sind, müssen die zentralen Elemente einer Innovation – jene Komponenten, die für ihre Wirksamkeit entscheidend sind – beibehalten werden. Diese „Core Components“ umfassen die Funktionen, Prinzipien und damit verbundenen Aktivitäten, die notwendig sind, um die angestrebten Ergebnisse zu erzielen (Blase & Fixsen, 2013).
3. Anpassungsfähigkeit: Nachhaltige Innovationen sind nicht statisch, sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Sie passen sich an veränderte Bedingungen an, ohne ihre Kernprinzipien zu verlieren. Diese Flexibilität ermöglicht es Fachkräften, die Innovation an spezifische Kontexte anzupassen und gleichzeitig deren Wirksamkeit zu erhalten (Elias, 2010).
4. Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Ergebnisse: Letztendlich müssen nachhaltige Innovationen positive Ergebnisse über längere Zeiträume hinweg liefern. Der Fokus liegt nicht nur auf der Implementierung der Innovation selbst, sondern auf ihrer Fähigkeit, kontinuierlich Wirkung zu erzielen (Stringfield et al., 2008).
Diese multidimensionale Sichtweise auf Nachhaltigkeit verdeutlicht, dass es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das weit über die bloße Fortführung einer Initiative hinausgeht. Für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung bedeutet dies, dass sie bereits bei der Planung neuer Programme die langfristige Integration in bestehende Strukturen mitdenken müssen.
Basierend auf ihrer umfassenden Analyse identifizierten Prenger und Kollegen (2022) vier Hauptkategorien von Faktoren, die die Nachhaltigkeit von Innovationen beeinflussen. Diese Faktoren stellen einen evidenzbasierten Rahmen dar, der Fachkräften in der Prävention und Gesundheitsförderung helfen kann, die langfristige Wirksamkeit ihrer Initiativen zu fördern.
Die folgende Matrix bietet einen strukturierten Überblick über diese Einflussfaktoren, ihre Subfaktoren und deren Bedeutung für die Nachhaltigkeit von Innovationen. Sie ist als praktisches Werkzeug für Fachkräfte konzipiert, um die eigenen Initiativen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitspotenziale zu analysieren und gezielt zu verbessern.
Kategorien | Subfaktoren | Beschreibung | Beispielquellen |
---|---|---|---|
Organisatorische Merkmale | Zusammenarbeit | Kollegiale Zusammenarbeit für Austausch und gemeinsame Problemlösung; wirkt isolierter Arbeitsweise entgegen | Gilad-Hai & Somech (2016); Edwards Groves & Rönnerman (2013) |
Wissensaustausch | Austausch von Erfahrungen, Materialien und Ergebnissen innerhalb und außerhalb der Organisation | Andreou et al. (2015); Stringfield et al. (2008) | |
Organisationskultur | Unterstützende und offene Kultur mit gemeinsamen Verständnis der Kernkomponenten | Bambara et al. (2012); Zehetmeier (2015) | |
Fluktuation | Geringe Mitarbeiter- und Führungsfluktuation fördert Kontinuität und Wissenserhalt | Sandholtz & Ringstaff (2016); Saito et al. (2012) | |
Führungsmerkmale | Verteilte Führung | Demokratische Entscheidungsprozesse, die verschiedene Akteure einbeziehen und Eigenverantwortung fördern | Kirtman (2002); Furman Shaharabani & Tal (2017) |
Vision, Normen und Ziele | Klare gemeinsame Vision und Ziele für die Innovation, die bereits vor Implementierung formuliert werden | Martin et al. (2006); Bean et al. (2015) | |
Individualisierte Unterstützung | Coaching, Feedback und Wertschätzung durch Führungskräfte | King (2016); Kafyulilo et al. (2016) | |
Fachwissen und Vorbildfunktion | Führungskräfte demonstrieren Fachwissen und modellhaftes Verhalten bezüglich der Innovation | Bambara et al. (2012); Lewin et al. (2009) | |
Merkmale der Innovation | Effektivität und Effizienz | Nachweisliche Wirksamkeit und angemessenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen | Gilad-Hai & Somech (2016); Ferguson et al. (2011) |
Struktur | Klare Abläufe und Strukturen, die routinemäßig als Teil der Organisation genutzt werden können | Pinkelman et al. (2015); Elder & Prochnow (2016) | |
Positive Verstärkung | Eingebaute Mechanismen zur Erfolgsmessung und positiven Rückmeldung | Kirtman (2002); Benz et al. (2004) | |
Individuelle Merkmale | Einstellungen und Motivation | Akzeptanz, Engagement und positive Einstellung der Mitarbeitenden gegenüber der Innovation | Mouza (2009); Ng & Nicholas (2013) |
Vertrauen | Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die Innovation und in Kollegen | Saito et al. (2012); Deaney & Hennessy (2007) | |
Wissen und Fähigkeiten | Prozedurales und konzeptionelles Wissen zur Umsetzung der Innovation | King (2016); Deaney & Hennessy (2007) |
Die Ergebnisse des Reviews haben direkte Implikationen für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung:
Nachhaltigkeit darf nicht als Nachgedanke betrachtet werden, sondern muss von Beginn an in die Planung einbezogen werden. Dies bedeutet:
Die Organisationskultur spielt eine Schlüsselrolle für die Nachhaltigkeit. Fachkräfte sollten:
Leadership ist nicht an eine Position gebunden, sondern kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden:
Die Merkmale der Initiative selbst beeinflussen ihre Nachhaltigkeit:
Schließlich spielen die beteiligten Personen eine zentrale Rolle:
Die Erkenntnisse aus dem systematischen Review von Prenger et al. (2022) zeigen, dass Nachhaltigkeit ein komplexes, aber gestaltbares Phänomen ist. Es geht weit über die bloße Fortführung einer Initiative hinaus und umfasst die Integration in organisatorische Routinen, die Beibehaltung von Kernaspekten bei gleichzeitiger Anpassungsfähigkeit und die kontinuierliche Erzielung positiver Ergebnisse.
Für Fachkräfte in der Prävention und Gesundheitsförderung bietet dieser Review wertvolle Orientierung. Durch die Berücksichtigung organisatorischer, führungsbezogener, innovationsspezifischer und individueller Faktoren können sie die Chancen erhöhen, dass ihre Interventionen nachhaltig wirken. Das empirisch fundierte Modell der Nachhaltigkeit kann als Rahmen dienen, um bestehende Initiativen zu analysieren und neue Programme zu planen.
Die große Herausforderung besteht nun darin, dieses Wissen in die Praxis zu übertragen und die identifizierten Faktoren systematisch zu adressieren. Dies erfordert einen strategischen Ansatz, der Nachhaltigkeit nicht als Nebenprodukt, sondern als zentrales Ziel von Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen betrachtet.
Andreou, T. E., McIntosh, K., Ross, S. W., & Kahn, J. D. (2015). Critical incidents in sustaining school-wide positive behavioral interventions and supports. The Journal of Special Education, 49(3), 157–167. https://doi.org/10.1177/0022466914554298
Bambara, L. M., Goh, A., Kern, L., & Caskie, G. (2012). Perceived barriers and enablers to implementing individualized positive behavior interventions and supports in school settings. Journal of Positive Behavior Interventions, 14(4), 228–240. https://doi.org/10.1177/1098300712437219
Bean, R. M., Dole, J. A., Nelson, K. L., Belcastro, E. G., & Zigmond, N. (2015). The sustainability of a national reading reform initiative in two states. Reading & Writing Quarterly, 31(1), 30–55. https://doi.org/10.1080/10573569.2013.857947
Benz, M. R., Lindstrom, L., Unruh, D., & Waintrup, M. (2004). Sustaining secondary transition programs in local schools. Remedial and Special Education, 25(1), 39–50. https://doi.org/10.1177/07419325040250010501
Blase, K., & Fixsen, D. (2013). Core intervention components: Identifying and operationalizing what makes programs work. ASPE Research Brief. US Department of Health and Human Services.
Coburn, C. E., & Turner, E. O. (2012). The practice of data use: An introduction. American Journal of Education, 118(2), 99–111. https://doi.org/10.1086/663272
Deaney, R., & Hennessy, S. (2007). Sustainability, evolution and dissemination of information and communication technology-supported classroom practice. Research Papers in Education, 22(1), 65–94. https://doi.org/10.1080/02671520601152102
Edwards Groves, C., & Rönnerman, K. (2013). Generating leading practices through professional learning. Professional Development in Education, 39(1), 122–140. https://doi.org/10.1080/19415257.2012.724439
Elder, K. I., & Prochnow, J. E. (2016). PB4L school-wide: What will support the sustainability of the initiative? New Zealand Journal of Educational Studies, 51(1), 83–97. https://doi.org/10.1007/s40841-016-0036-1
Elias, M. (2010). Sustainability of social-emotional learning and related programs: Lessons from a field study. International Journal of Emotional Education, 2(1), 17–33.
Ferguson, N., Currie, L.-A., Paul, M., & Topping, K. (2011). The longitudinal impact of a comprehensive literacy intervention. Educational Research, 53(3), 237–256. https://doi.org/10.1080/00131881.2011.598657
Furman Shaharabani, Y., & Tal, T. (2017). Teachers‘ practice a decade after an extensive professional development program in science education. Research in Science Education, 47(5), 1031–1053. https://doi.org/10.1007/s11165-016-9539-5
Gilad-Hai, S., & Somech, A. (2016). The day after: The organizational consequences of innovation implementation in experimental schools. Journal of Educational Administration, 54(1), 19–40. https://doi.org/10.1108/JEA-07-2014-0084
Hargreaves, A., & Fink, D. (2012). Sustainable leadership. John Wiley & Sons.
Kafyulilo, A., Fisser, P., & Voogt, J. (2016). Factors affecting teachers‘ continuation of technology use in teaching. Education and Information Technologies, 21(6), 1535–1554. https://doi.org/10.1007/s10639-015-9398-0
King, F. (2016). Teacher professional development to support teacher professional learning: Systemic factors from Irish case studies. Teacher Development, 20(4), 574–594. https://doi.org/10.1080/13664530.2016.1161661
Kirtman, L. (2002). Policy and practice: Restructuring teachers‘ work. Education Policy Analysis Archives, 10(25). https://doi.org/10.14507/epaa.v10n25.2002
Lewin, C., Scrimshaw, P., Somekh, B., & Haldane, M. (2009). The impact of formal and informal professional development opportunities on primary teachers‘ adoption of interactive whiteboards. Technology, Pedagogy and Education, 18(2), 173–185. https://doi.org/10.1080/14759390902992592
Martin, M., Wilkinson, J. E., McPhee, A., McQueen, I., McConnell, F., & Baron, S. (2006). Implementing critical skills in UK schools. Journal of Education for Teaching, 32(4), 423–434. https://doi.org/10.1080/02607470600982076
Mouza, C. (2009). Does research-based professional development make a difference? A longitudinal investigation of teacher learning in technology integration. Teachers College Record, 111(5), 1195–1241. https://doi.org/10.1177/016146810911100502
Ng, W., & Nicholas, H. (2013). A framework for sustainable mobile learning in schools. British Journal of Educational Technology, 44(5), 695–715. https://doi.org/10.1111/j.1467-8535.2012.01359.x
Pinkelman, S. E., McIntosh, K., Rasplica, C. K., Berg, T., & Strickland-Cohen, M. K. (2015). Perceived enablers and barriers related to sustainability of school-wide positive behavioral interventions and supports. Behavioral Disorders, 40(3), 171–183. https://doi.org/10.17988/0198-7429-40.3.171
Prenger, R., Tappel, A. P. M., Poortman, C. L., & Schildkamp, K. (2022). How can educational innovations become sustainable? A review of the empirical literature. Frontiers in Education, 7, 970715. https://doi.org/10.3389/feduc.2022.970715
Saito, E., Khong, T. D. H., & Tsukui, A. (2012). Why is school reform sustained even after a project? A case study of Bac Giang Province, Vietnam. Journal of Educational Change, 13(2), 259–287. https://doi.org/10.1007/s10833-011-9173-y
Sandholtz, J. H., & Ringstaff, C. (2016). The influence of contextual factors on the sustainability of professional development outcomes. Journal of Science Teacher Education, 27(2), 205–226. https://doi.org/10.1007/s10972-016-9451-x
Stringfield, S., Reynolds, D., & Schaffer, E. C. (2008). Improving secondary students‘ academic achievement through a focus on reform reliability: 4- and 9-year findings from the High Reliability Schools project. School Effectiveness and School Improvement, 19(4), 409–428. https://doi.org/10.1080/09243450802535190
Zehetmeier, S. (2015). Sustaining and scaling up the impact of professional development programmes. ZDM Mathematics Education, 47(1), 117–128. https://doi.org/10.1007/s11858-015-0671-x