Prävention und Gesundheitsförderung sind Schlüsselelemente für die langfristige Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Doch wie effektiv sind präventive Maßnahmen wirklich und lohnen sich die Investitionen auch finanziell? Eine neue Langzeitstudie liefert wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Kosteneffizienz des Communities That Care (CTC) Präventionssystems. Der im Journal Prevention Science veröffentlichte Artikel von Kuklinski et al. (2021) untersucht die Auswirkungen von CTC auf Substanzkonsum und antisoziales Verhalten bis ins junge Erwachsenenalter sowie die damit verbundenen Kosten und Nutzen. Die Ergebnisse sind für Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung von großer Relevanz und bieten wertvolle Einblicke in die Nachhaltigkeit gemeindebasierter Präventionsansätze.

Das CTC-Präventionssystem: Ein Überblick

Bevor wir uns den Hauptergebnissen der Studie widmen, ist es wichtig, das CTC-Präventionssystem kurz vorzustellen. CTC ist ein datengesteuertes Präventionssystem, das Gemeinden dabei unterstützt, evidenzbasierte Präventionsprogramme auszuwählen und zu implementieren, die auf ihre spezifischen Präventionsprioritäten zugeschnitten sind (Fagan, Hawkins, et al., 2019). Der Prozess umfasst fünf Phasen:

  1. Vorbereitung und Mobilisierung
  2. Organisation und Einbindung der Gemeinde
  3. Entwicklung eines Gemeindeprofils
  4. Erstellung eines Gemeindeaktionsplans
  5. Implementierung und Evaluation

Ein wesentliches Merkmal von CTC ist die Einbindung verschiedener Akteure aus der Gemeinde, die gemeinsam eine Koalition bilden. Diese Koalition arbeitet daran, Risiko- und Schutzfaktoren in der Gemeinde zu identifizieren und evidenzbasierte Programme auszuwählen, die diese Faktoren gezielt adressieren.

Hauptergebnisse der Studie

1. Langfristige Wirksamkeit von CTC

Die Studie von Kuklinski et al. (2021) zeigt, dass CTC auch 12 Jahre nach Studienbeginn noch positive Effekte hat. Junge Erwachsene aus CTC-Gemeinden berichteten im Alter von 23 Jahren von einer höheren lebenslangen Abstinenz von Alkohol, Zigaretten, Cannabis und anderen Drogen sowie von antisozialem Verhalten. Die relativen Verbesserungen lagen je nach Outcome zwischen 13% und 55%. Besonders hervorzuheben ist der starke Effekt auf die Alkoholabstinenz mit einer relativen Verbesserung von 55%.

Diese Ergebnisse sind besonders bemerkenswert, da die meisten Präventionsprogramme im Rahmen der Studie nur bis zur 9. Klasse implementiert wurden. Dies deutet darauf hin, dass frühe Präventionsmaßnahmen langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und das Verhalten junger Menschen haben können, die weit über die unmittelbare Interventionszeit hinausgehen.

2. Ökonomische Vorteile von CTC

Die Kosten-Nutzen-Analyse ergab, dass CTC auch wirtschaftlich vorteilhaft ist. Der Nettogegenwartswert pro Teilnehmer betrug 7.152 US-Dollar, was bedeutet, dass die Intervention deutlich mehr Nutzen als Kosten generierte. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis lag bei beeindruckenden 12,88 Dollar Nutzen pro investiertem Dollar. Selbst bei konservativen Schätzungen, die die Beteiligung der Entwickler an der Studie berücksichtigten, blieb CTC kosteneffizient.

Die ökonomischen Vorteile verteilten sich auf verschiedene Bereiche und Stakeholder:

  • Etwa 20% der geschätzten Vorteile entfielen auf die Teilnehmer selbst
  • 27% kamen den Steuerzahlern zugute
  • 53% waren Vorteile für andere Gesellschaftsmitglieder

Diese breite Verteilung der Vorteile unterstreicht den gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Präventionsmaßnahmen.

Kosten-Nutzen-Verhältnis

Nutzenaufteilung nach Begünstigten

Nutzenquellen

Abbildung 1: Kosten-Nutzen-Analyse des Communities That Care (CTC) Präventionssystems. Diese Grafik veranschaulicht die ökonomischen Vorteile des CTC-Präventionssystems basierend auf der Studie von Kuklinski et al. (2021). Oben links: Die Balkendiagramm zeigt die Kosten pro Teilnehmer (602 USD) und den Gesamtnutzen pro Teilnehmer (7754 USD). Das Nutzen-Kosten-Verhältnis beträgt 12,88:1, was die hohe Kosteneffizienz von CTC unterstreicht. Oben rechts: Das Kreisdiagramm zeigt die Verteilung des Gesamtnutzens nach Begünstigten: Teilnehmer (20%), Steuerzahler (27%) und andere Gesellschaftsmitglieder (53%). Unten: Das horizontale Balkendiagramm zeigt die verschiedenen Quellen des Gesamtnutzens: vermiedene Kriminalität (51%), verbesserte Einkommen (35%), Gesundheitskosteneinsparungen (16%), sonstige Nutzen (2%) und Verlust durch Steuerbelastung (-4%). Alle Werte sind in US-Dollar angegeben und auf den Interventionsbeginn diskontiert.

3. Sekundäre Effekte auf Bildung

Neben den primären Outcomes zeigte sich auch ein positiver Effekt auf den Bildungsabschluss. Die Wahrscheinlichkeit eines 4-jährigen Collegeabschlusses war in CTC-Gemeinden um 20% höher. Dies deutet auf mögliche Kaskadeneffekte der Prävention auf andere Lebensbereiche hin. Hawkins et al. (2014) hatten bereits früher gezeigt, dass CTC zu einer größeren lebenslangen Abstinenz von antisozialem Verhalten und dem Konsum von Einstiegsdrogen bis zum Alter von 21 Jahren führte. Die neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese positiven Effekte sich auch auf den Bildungsbereich auswirken können.

4. Nachhaltige Systemveränderung

Die Studie liefert Hinweise darauf, dass CTC zu einer nachhaltigen Veränderung des Präventionssystems in den Gemeinden führte. CTC-Gemeinden implementierten mehr evidenzbasierte Programme und erreichten damit mehr Kinder und Familien als Kontrollgemeinden. Gloppen et al. (2016) stellten fest, dass CTC-Gemeinden im Laufe der Zeit signifikant häufiger als Kontrollgemeinden Präventionswissenschaftskonzepte verstanden, Risiko- und Schutzfaktordaten in ihrem Präventionsplanungsansatz verwendeten, getestete und wirksame Interventionen zur Erreichung von Präventionszielen auswählten und diese bei Bedarf implementierten, überwachten und anpassten.

Implikationen für die Praxis

Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für Fachkräfte der Prävention und Gesundheitsförderung:

  1. Langfristige Perspektive: Die Studie unterstreicht die Bedeutung einer langfristigen Perspektive in der Präventionsarbeit. Auch wenn die unmittelbaren Effekte möglicherweise gering erscheinen, können sie sich über die Zeit zu substanziellen Verbesserungen aufsummieren. Praktiker sollten daher Geduld haben und die Bedeutung langfristiger Evaluationen betonen.
  2. Systemischer Ansatz: Der Erfolg von CTC zeigt, dass ein systemischer, gemeindebasierter Ansatz in der Prävention besonders wirksam sein kann. Die Einbindung verschiedener Akteure und die datengestützte Auswahl von Interventionen scheinen Schlüsselelemente zu sein. Fachkräfte sollten daher verstärkt auf die Bildung breiter Koalitionen und die Nutzung lokaler Daten setzen.
  3. Ökonomische Argumente: Die positiven Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse liefern starke Argumente für Investitionen in Prävention. Fachkräfte können diese Daten nutzen, um Entscheidungsträger von der Wirtschaftlichkeit präventiver Maßnahmen zu überzeugen. Dabei ist es wichtig, die breite Verteilung der Vorteile auf verschiedene Gesellschaftsgruppen zu betonen.
  4. Fokus auf Systemveränderung: Die Studie legt nahe, dass nachhaltige Veränderungen im Präventionssystem einer Gemeinde langfristige Wirkungen haben können. Praktiker sollten daher nicht nur einzelne Programme implementieren, sondern an einer Verbesserung des gesamten Präventionssystems arbeiten. Dies kann die Entwicklung lokaler Kapazitäten für Datenerhebung, -analyse und evidenzbasierte Entscheidungsfindung beinhalten.
  5. Beachtung von Kaskadeneffekten: Die positiven Auswirkungen auf den Bildungsabschluss weisen darauf hin, dass Prävention auch indirekte positive Effekte in anderen Lebensbereichen haben kann. Dies sollte in der Planung und Evaluation von Präventionsmaßnahmen berücksichtigt werden. Praktiker sollten ermutigt werden, mögliche Kaskadeneffekte zu identifizieren und zu dokumentieren.
  6. Frühe Intervention: Die langanhaltenden Effekte von CTC, obwohl die meisten Programme nur bis zur 9. Klasse implementiert wurden, unterstreichen die Bedeutung früher Interventionen. Präventionsfachkräfte sollten sich bemühen, Präventionsprogramme so früh wie möglich zu implementieren, um die Weichen für eine positive Entwicklung zu stellen.

Zusätzliche Überlegungen

Die Studie von Kuklinski et al. (2021) wirft auch wichtige Fragen für zukünftige Forschung und Praxis auf. Ein zentraler Aspekt ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Kontexte. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Studie in kleinen bis mittelgroßen ländlichen Gemeinden durchgeführt wurde. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit ähnliche Effekte in städtischen Gebieten oder in anderen kulturellen Kontexten erzielt werden können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Nachhaltigkeit der Interventionseffekte. Obwohl die Studie beeindruckende langfristige Wirkungen zeigt, bleibt die Frage, wie diese Effekte über noch längere Zeiträume aufrechterhalten werden können. Fagan et al. (2011) stellten fest, dass CTC-Gemeinden eine hohe Implementierungstreue über die Zeit aufwiesen, was auf die Bedeutung kontinuierlicher Unterstützung und Schulung hinweist. Zukünftige Forschung könnte untersuchen, welche Faktoren zur Aufrechterhaltung der Implementierungsqualität und der Programmeffekte über längere Zeiträume beitragen.

Die Studie hebt auch die Bedeutung von Implementierungsforschung hervor. Brown et al. (2014) fanden heraus, dass die Übernahme eines wissenschaftsbasierten Ansatzes in der Gemeinde den Effekt von CTC auf die Jugendlichen vollständig vermittelte. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur die Effekte von Präventionsprogrammen zu untersuchen, sondern auch die Mechanismen, durch die diese Effekte erzielt werden. Praktiker sollten ermutigt werden, diese Prozesse in ihrer Arbeit zu dokumentieren und zu reflektieren.

Schließlich wirft die Studie auch Fragen zur Rolle der Gemeindekapazität auf. CTC setzt stark auf die Einbindung und Schulung lokaler Akteure. Es wäre interessant zu untersuchen, wie unterschiedliche Ausgangsniveaus von Gemeindekapazität die Implementierung und Wirksamkeit von CTC beeinflussen und wie diese Kapazität am effektivsten aufgebaut werden kann.

Fazit

Die Studie von Kuklinski et al. (2021) liefert überzeugende Belege für die langfristige Wirksamkeit und Kosteneffizienz des CTC-Präventionssystems. Sie unterstreicht die Bedeutung eines systemischen, gemeindebasierten Ansatzes in der Prävention und zeigt, dass sich Investitionen in Prävention auch finanziell lohnen können. Für Fachkräfte der Prävention und Gesundheitsförderung bieten diese Erkenntnisse wichtige Argumente für die Implementierung umfassender, evidenzbasierter Präventionsstrategien.

Die Studie ermutigt dazu, Prävention als langfristige Investition in die Gesundheit und das Wohlergehen von Gemeinschaften zu betrachten. Sie zeigt auch, dass die Effekte von Präventionsmaßnahmen weit über die unmittelbaren Ziele hinausgehen können und positive Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche haben können.

Für die Zukunft der Präventionsforschung und -praxis ergeben sich aus dieser Studie mehrere wichtige Fragen: Wie können wir die Nachhaltigkeit von Präventionssystemen wie CTC weiter verbessern? Welche Faktoren tragen zur langfristigen Wirksamkeit bei? Und wie können wir die Implementierung solcher Systeme in verschiedenen kulturellen und sozioökonomischen Kontexten optimieren?

Die Ergebnisse von Kuklinski et al. (2021) sind ein wichtiger Schritt vorwärts in unserem Verständnis der langfristigen Wirkungen von Prävention. Sie bieten eine solide Grundlage für zukünftige Forschung und Praxis und unterstreichen die Bedeutung kontinuierlicher Investitionen in evidenzbasierte Präventionsstrategien.

Literaturverzeichnis

Brown, E. C., Hawkins, J. D., Rhew, I. C., Shapiro, V. B., Abbott, R. D., Oesterle, S., Arthur, M. W., & Catalano, R. F. (2014). Prevention system mediation of Communities That Care effects on youth outcomes. Prevention Science, 15(5), 623-632.

Fagan, A. A., Arthur, M. W., Hanson, K., Briney, J. S., & Hawkins, J. D. (2011). Effects of Communities That Care on the adoption and implementation fidelity of evidence-based prevention programs in communities: Results from a randomized controlled trial. Prevention Science, 12(3), 223-234.

Fagan, A. A., Hawkins, J. D., Catalano, R. F., & Farrington, D. P. (2019). Communities That Care: Building community engagement and capacity to prevent youth behavior problems. Oxford University Press.

Gloppen, K. M., Brown, E. C., Wagenaar, B. H., Hawkins, J. D., Rhew, I. C., & Oesterle, S. (2016). Sustaining adoption of science-based prevention through Communities That Care. Journal of Community Psychology, 44(1), 78-98.

Hawkins, J. D., Oesterle, S., Brown, E. C., Abbott, R. D., & Catalano, R. F. (2014). Youth problem behaviors 8 years after implementing the Communities That Care prevention system: A community-randomized trial. JAMA Pediatrics, 168(2), 122-129.

Kuklinski, M. R., Oesterle, S., Briney, J. S., Hawkins, J. D., Catalano, R. F., & Fagan, A. A. (2021). Long-term impacts and benefit-cost analysis of the Communities That Care prevention system at age 23, 12 years after baseline. Prevention Science, 22(4), 452-463.