Die Lebensweg-Stunde ist ein zentraler Bestandteil des REBOUND-Präventionsprogramms. Für eine Schulstunde besuchen junge Erwachsene den Unterricht und teilen ihren Erfahrungsschatz mit Schülerinnen und Schülern. So werden sie zu Mentoren und können wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Jugendlichen geben. Am 16.09.2020 fand im neuen FINDER-Büro in der Boxhagener Straße ein Workshop für die ehrenamtlichen Mentoren und Mentorinnen der FINDER-Akademie statt.

„Corona bedingt wurden im letzten halben Jahr keine Lebensweg-Stunden an Schulen durchgeführt“, erklärt Josie Janneck, Mentoren-Koordinatorin bei FINDER. „Mit diesem Workshop zeigen wir: Wir sind wieder da!“ Josie lächelt. Es ist der erste Workshop dieser Art, den sie unter Mithilfe von Marie Kemkes und Patrick Wentorp organisiert hat. „Es ist mir wichtig, jede einzelne Mentorin – egal ob mit oder ohne Erfahrung – abzuholen und heute Abend einen offenen Raum zu bieten, in dem wir uns austauschen und von- und miteinander lernen.“

 

Inhaltlich liegt der Fokus des Workshops darauf, mit welchen Werkzeugen die Mentoren der Verlauf der Lebensweg-Stunde beeinflussen können. „Um 8 Uhr morgens sind die wenigsten Schülerinnen redselig. Oft haben wir es auch mit einer anfänglichen Verunsicherung zu tun, was denn nun von den Schülern erwartet wird – einfach Fragen stellen und erzählen, das sind die meisten aus dem klassischen Unterricht nicht gewöhnt“, erklärt Josie. Um die Selbstsicherheit der Mentorinnen im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern zu stärken, vermittelt sie im ersten Teil des Workshops Grundlagen der Gesprächsführung. Unter anderem mit Verweis auf Carl Rogers und durch das Teilen und Reflektieren eigener Erfahrungen wird deutlich: Die eigene Haltung ist die Basis eines guten Gesprächs. Bin ich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei meinem Gegenüber, höre wohlwollend zu und hake nach, wenn ich etwas nicht verstanden habe? Kann ich mit Schweigen umgehen? Und was, wenn das Gespräch so gar nicht in Gang kommt?

 

Eisbrecher als Werkzeug

 

Für dieses Worst-Case-Szenario hat Marie einige praktische „Eisbrecher“ für die Mentoren vorbereitet, die sie direkt mit der Gruppe ausprobiert. Es werden Stühle im Kreis balanciert, Gesten und Geräusche durch den Raum geworfen und vor allem gelacht wird viel. Und was später mit den Schülern funktionieren soll, funktioniert auch jetzt mit den Mentoren: Die Stimmung ist gelockert, in der anschließenden Pause finden sich die Teilnehmer des Workshops für Gespräche zusammen und lernen sich besser kennen.

 

Was bedeutet es, einen Raum zu öffnen?

 

Im weiteren Verlauf des Abends beleuchtet Patrick die Metapher des „Raum-Öffnens“ aus einer philosophischen Perspektive. Anknüpfend an Josies Vortrag betont auch er die Bedeutung der inneren Haltung: „So, wie ihr euch in eurem Inneren fühlt, fühlen sich auch die anderen bis zu einem gewissen Grad. Macht euch dieses Wissen um eure Ausstrahlung zu Nutze und schafft von Anfang an einen offenen Raum. Indem ihr euch authentisch zeigt, bietet ihr auch den Schülern die Möglichkeit dazu.“ Kurz bekommt jede Mentorin die Gelegenheit, sich zu fragen, wie ein solch offener Raum sich für sie im Inneren anfühlt, dann eröffnet jede Einzelne vor der Gruppe den Raum – ganz so, wie sie es zu Beginn eines Lebensweg-Stunde vor einer Schulklasse tun würde.

 

 Lebenswege sind nicht linear

 

Anschließend teilen die Mentorinnen und Mentoren sich – ebenfalls ganz so, wie später in der Schule – in Kleingruppen auf und üben den weitern Ablauf der Lebenswege-Stunde miteinander. „Also, ich stelle mich einfach nochmal kurz vor und frage die Schüler dann, welches Berufsziel sie haben“, berichtet Anne, die schon mehrmals als Mentorin im Einsatz war. „Oft ergeben sich dann darüber Gespräche über Lebensziele. Manchmal kommt auch der Leistungsdruck zur Sprache, unter dem einige Schüler stehen.“ Einige, bereits erfahrene Teilnehmerinnen nicken zustimmend. Dann meldet Nathalie sich, eine neue Mentorin, der ihre erste Stunde noch bevorsteht. „Ich habe meine Ausbildung abgebrochen und bin erst über Umwege zu meinem Psychologie-Studium gekommen. Sollte ich das erzählen?“ Josie strahlt: „Klar! Genau darum geht es doch: Den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass Lebenswege nicht immer nur linear verlaufen, sondern es Höhen und Tiefen, Herausforderungen und manchmal eben auch Umwege gibt. Das spannende ist dann: Wie seid ihr mit damit umgegangen? Was habt ihr für euch gelernt? Teilt euren Erfahrungsschatz!“

 

Mentorinnen sind weder Therapeutinnen noch Pädagoginnen

 

Ganz so, wie Josie es sich zu Beginn der Veranstaltung gewünscht hat, wird die Kleingruppe zu einem Lernraum, in dem alte und neue Mentoren von der Neugier und dem Wissen des jeweils anderen profitieren. Was zum Beispiel, wenn jemand in Tränen ausbricht? „Genauso, wie ihr bildlich gesprochen einen Raum öffnet, könnt ihr auch einen Raum halten. Für mich heißt das konkret: Ich bin okay mit allen aufkommenden Emotionen und betrachte sie als Teil des authentischen Selbstausdrucks. Also springe ich weder direkt auf, um Tränen zu trocknen, noch versuche ich krampfhaft so zu tun, als sei alles okay – denn das ist es in dem Moment nicht. Wenn man den Jugendlichen diesen Raum lässt, handeln sie meist oft ganz intuitiv so, wie sie es gerade brauchen“, berichtet Josie. Doch was, wenn der Grund für die Tränen heikel ist – beispielsweise, weil in der Familie Missbrauch stattfindet? Für einen Moment herrscht in der Gruppe Schweigen. Statistisch gesehen ist es wahrscheinlich, dass mindestens ein Schüler in der Klasse solch schwerwiegende Probleme hat. „Ganz wichtig: Ihr seid Mentorinnen, keine Therapeutinnen oder Pädagoginnen. Am Ende einer jeden Lebensweg-Stunde füllt ihr einen Bogen aus, in dem ihr auch von den Herausforderungen eures Einsatzes berichtet. Der wird dann von FINDER bearbeitet. Und solltet ihr beispielsweise mit einem Missbrauch in Berührung kommen, dann könnt ihr euch sicher sein, dass wir euch auffangen und Hilfe für die betreffende Person in die Wege leiten.“

 

Das Mentoren-Netzwerk wächst

Am Ende des Abends finden die Mentoren sich wieder in der großen Gruppe zusammen. Knapp vier Stunden lang haben sie gemeinsam gelernt, sich ausprobiert und auf ihren nächsten Einsatz vorbereitet. „Ich bin sehr dankbar für die Gestaltungsideen und den Austausch“, meint Jessi. „Mich hat der Workshop dazu inspiriert, auch in meinen alltäglichen Gesprächen mehr auf meine innere Haltung zu achten“, meldet Amelie zurück. Nummern werden ausgetauscht, manche sind müde und fahren nach Hause, andere ziehen noch gemeinsam los in eine Bar. Josie ist zufrieden – und hofft, dass das Mentoren-Netzwerk in den nächsten Monaten weiter wächst. Lust mitzumachen? Weitere Informationen gibt es hier.

Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus dem Buch „High Sein – Ein Aufklärungsbuch“ von Jörg Böckem und Henrik Jungaberle. „High Sein“ ist ein Buch, welches nicht bevormunden, sondern informieren will.

Manche Menschen bewältigen den Alltag komplett ohne Drogen, manche schaffen es nur mit einem Feierabendbier ihren Arbeitsalltag zu verdauen. Einige brauchen psychoaktive Substanzen um am Wochenende zu feiern, andere nehmen diese nur vereinzelt und zu besonderen Anlässen. Was unterscheidet diese unterschiedlichen Arten von Menschen? Ein zentrales Konzept des Lebenskompetenz- und Suchtpräventionsprogramms Rebound sind die unterschiedlichen Risiko- und Motivtypen. Wie gehen Menschen mit Risiken um, und warum konsumieren sie psychoaktive Substanzen?

Ein Überlick

Es gibt zahlreiche Gründe, Drogen zu nehmen, gute und weniger gute. Die einen trinken Alkohol, weil es Spaß macht. Oder weil es schmeckt. Die anderen, weil sie dann lockerer sind oder es ihnen leichter fällt, Mädchen anzusprechen. Manche, weil sie dazugehören wollen. Der eine oder andere braucht Alkohol oder Cannabis, um sein Leben zu bewältigen und nicht unter seinen Problemen zusammenzubrechen. Oder weil das Leben ohne Drogen langweilig und öde erscheint. Wieder andere trinken oder kiffen gar nicht, weil sie sich auch ohne Rausch gut fühlen und einen klaren Kopf behalten wollen, um ihre Ideen und Projekte zu verwirklichen. »Was treibt uns an?« lautet eine zentrale Frage bei der Beschäftigung mit Drogen. Wozu das Ganze? Was lässt die einen trinken, die anderen kiffen, und wieso lassen wieder andere ganz die Finger von Drogen? Die Antwort ist nicht ganz einfach. Ob der Umgang mit Drogen das Beste oder das Schlechteste zum Vorschein bringt, ist abhängig von zahlreichen Faktoren: von Motiven, also dem »Wozu«, vom sozialen Umfeld und den Ideen, durch die ein Mensch beeinflusst wird. Außerdem spielt auch die genetische Veranlagung eine Rolle. Und es kommt darauf an, wie das Gehirn eines Menschen sich im Laufe seiner Lebensgeschichte entwickelt hat und sein Verhalten steuert. Nicht jede Konsumentscheidung ist eine bewusste Entscheidung, oft werden wir von Gewohnheiten oder Impulsen beeinflusst. Die meisten Menschen trinken morgens einen Kaffee, ohne sich die Motive dafür bewusst zu machen. Sicher, alles andere wäre auch anstrengend und bei dem geringen Risiko, dem man sich mit der Droge Kaffee aussetzt, auch unnötig. Der Morgenkaffee ist ein Ritual, mit dem die allermeisten Menschen hervorragend leben können. Bei anderen Ritualen, wie dem Feierabendbier oder dem Entspannungsjoint, kann es dagegen ratsam sein, ab und zu seine Gründe zu hinterfragen.

Unterschiedliche Motive für den Konsum psychoaktiver Substanzen

In einem Langzeitforschungsprojekt an der Universität Heidelberg wurden aus Interviews mit 318 Jugendlichen verschiedene Motive beim Umgang mit psychoaktiven Substanzen herausgearbeitet – die Suche nach Gruppenzugehörigkeit und Identität, Auflehnung, Hedonismus, Neugier oder Problembewältigung sind einige Beispiele. Niemand ist auf ein einziges Motiv festgelegt. Jeder Mensch hat von jedem der hier beschriebenen Motive Anteile in sich. Wichtig ist, welche sich im Laufe der Zeit durchsetzen und unsere Entscheidungen und unser Handeln bestimmen. Außerdem unterscheiden und verändern sich die Motive für den Drogenkonsum häufig, wenn jemand zum ersten Mal trinkt oder kifft oder wenn er schon erfahren darin ist.

Die Motivtypen bezeichnen ein Spektrum, in dem wir uns bewegen. So lange, bis wir unseren eigenen Weg gefunden haben und die eigene Persönlichkeit gefestigt ist. So kann beispielsweise aus jemandem, der mit 14 extrem neugierig war und alles ausprobieren wollte, im Laufe der Zeit jemand werden, der sich und anderen Grenzen setzt – weil die eigene Erfahrung ihn genau das gelehrt hat.

Außerdem können sich die Motive verändern, wenn sich die Lebensumstände verändern, ein Umzug, ein Schulwechsel, eine Trennung, ein neuer Partner oder neue Freunde können auch den Blick auf und den Umgang mit Drogen verändern. Auch kann ein Motiv zu unterschiedlichen Reaktionen führen: Wer sich an Älteren oder Vorbildern orientiert oder sich an eine soziale Gruppe anpassen möchte, nimmt, abhängig von diesen Vorbildern oder Gruppen, die gleichen Drogen wie diese oder eben keine, wenn diese keine nehmen. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene spielt eine große Rolle.

Natürlich sind einige dieser Motive riskanter als andere. Wer nur dann Spaß haben kann, wenn er besoffen ist, asphaltiert sich eine breite Straße geradewegs in Richtung Sucht. Genauso ungünstig ist es, Probleme wie Einsamkeit, Beziehungsstress oder Überforderung in der Schule dauerhaft wegzukiffen oder mit anderen Substanzen zu bekämpfen. Zugegeben, kurzfristig stellt sich ein wunderbares Gefühl von Entspannung ein, man fühlt sich wie in Watte gepackt, der Stress ist angenehm heruntergedimmt. Langfristig löst die Flucht in den Drogenrausch allerdings keine Probleme, auf Dauer verstärkt es sie eher oder schafft neue.

Aber auch hier spielen Häufigkeit und Dosis eine große Rolle: Gelegentlich nach einem anstrengenden Tag in der Schule zur Entspannung einen Joint zu rauchen oder den Trennungsschmerz ein oder zwei Nächte lang mit Alkohol oder anderen Drogen zu bekämpfen muss nicht zwangsläufig zu Problemen führen, im Gegenteil, es kann sogar hilfreich und entlastend sein. Zumindest wenn es nicht die einzige Lösungsstrategie darstellt und nicht dauernd wiederholt werden muss. Grundsätzlich kommt es darauf an, dass Konsumenten sich selbst kritisch beobachten und darauf achten, dass sie über den Substanzkonsum hinaus über möglichst viele andere Strategien verfügen, ihre Freizeit zu genießen und Probleme zu bewältigen.

Unterschiedliche Risikotypen

Eng mit den Motivtypen verbunden sind die Risikotypen: Eine gute Risikoeinschätzung ist die Voraussetzung für einen langfristig positiven Konsum – und manchmal sogar die Voraussetzung dafür, den Drogengebrauch zu überleben. Aber Risikoeinschätzung ist schwierig und komplex. Risiko ist keine klare, objektive Größe, wie hoch oder niedrig jemandem ein Risiko erscheint, wird stark von dessen Erfahrungen, aber auch von den eigenen Überzeugungen und denen anderer Menschen beeinflusst. Diese subjektive Seite des Umgangs mit Risiko nennt man Risikowahrnehmung. Sie wird nicht nur von gesellschaftlichen Normen und Vorurteilen beeinflusst, sondern auch durch unsere Biologie. Einige Menschen zeigten bei Hirnscans in bestimmten Gehirnregionen, die mit Erregung und Verhaltensverstärkung verknüpft sind, stärkere Reaktionen auf Reize. Diese Menschen, die den Nervenkitzel und die Aufregung suchen, nennt man Sensation Seeker oder umgangssprachlich auch Adrenalinjunkies. Sie neigen dazu, größere Risiken einzugehen als andere. Sie suchen Stimulierung, also Extremerfahrungen, die neu oder besonders intensiv sind. Dazu gehören neben sexuellen Erfahrungen und Extremsport auch Glücksspiel und Drogen. Die Frage nach dem eigenen Risikotyp ist ein weiterer Baustein eines gelungenen Umgangs mit Drogen. Wie bei den Motivtypen ist auch hier die Zuordnung nicht immer ganz eindeutig, viele von uns vereinen unterschiedliche Anteile, wobei auch hier wichtig ist einzuschätzen, welcher Anteil prägend ist und unser Handeln bestimmt. Auch das Risikoverhalten kann sich verändern.

Welcher Risikotyp bin ich?

Der Risikosucher ist neugierig und manchmal impulsiv, er sucht den Nervenkitzel.

Der Risikovermeider ist vorsichtig und geht Gefahren aus dem Weg.

Der Risikokontrollierer wägt ab, beschäftigt sich mit den Gefahren, bevor er eine Entscheidung trifft.

Der Risikoverursacher bringt vor allem andere in Gefahr.

Wozu nehme ich Drogen?

Hedonismus versus Problembewältigung – Der Spaßtyp und der Selbstbehandler: Spaß zu haben und seine Freizeit aufregender gestalten zu wollen, ist das am häufigsten genannte Motiv für den Konsum von Alkohol oder anderen Drogen. Aber auch Trinken oder Kiffen zur Bewältigung oder Verdrängung von Problemen ist weit verbreitet.

Grenzen setzen versus Grenzen überschreiten – Der Kontrollierer und der Grenzgänger: Dem einen ist es wichtig, seine Grenzen zu kennen und die Kontrolle zu bewahren. Der andere geht bewusst über seine Grenzen hinaus, um neue und intensive Erfahrungen zu machen.

Dazugehören wollen versus seine Freiheit suchen – Der Szenetyp und der Unabhängige: Der eine trinkt oder kifft, um dazuzugehören und so zu sein wie die Älteren, Cooleren oder andere Vorbilder. Der andere sucht nach Individualität und Unabhängigkeit, das kann sowohl durch Verzicht auf Drogen als auch durch den Konsum geschehen.

Vorsicht versus Neugier – Der Abstinente und der Probiertyp: Der eine lehnt Drogenerfahrungen ab, um sich zu schützen, der andere ist neugierig und möchte diese Erfahrungen machen, bevor er sich grundsätzlich für oder gegen den Konsum entscheidet.

Auflehnung versus Anpassung – Der Rebell und der Mitläufer: Was verboten ist, ist besonders reizvoll – die einen nehmen Drogen, um gezielt Regeln und Gesetze, Vorschriften und Erwartungen in Frage zu stellen und zu unterlaufen. Die anderen passen sich den Normen und Konsumgewohnheiten der Mehrheit an.

Dieser Erfahrungsbericht wird in zwei Teilen auf dem FINDER Blog publiziert. Man gelangt über die Links des Inhaltsverzeichnisses zu den entsprechenden Unterkapiteln.

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Vor der Durchführung des Kurses an einer Berliner Schule: Ausgangslage
  2. Schülerverhalten
  3. Entwicklungen der Stimmung im Kursverlauf
  4. Schwierigkeiten und Verbesserungsvorschläge
  5. Schlüsselsituationen: Was hat den Kursverlauf positiv beeinflusst?
  6. Meine Rolle als Praktikantin und Kursleiterin bei REBOUND

6.  Meine Rolle als Praktikantin und Kursassistentin bei REBOUND

Im Ramen meines Praxissemesters habe ich für drei Monate in der FINDER Akademie für Prävention und erfahrungsbasiertes Lernen mein Praktikum absolviert und in diesem Zusammenhang an einer Weiterbildung zur REBOUND Kursleiterin teilgenommen. Bis zum Abschluss meines Studiums kann ich nun als Kursassistentin REBOUND gemeinsam mit anderen ausgebildeten REBOUNDERN leiten, nachdem ich meinen Studienabschluss habe, dann auch selbstständig. Ich studiere in Freiburg Gesundheitspädagogik und interessiere mich für Präventionsforschung und Präventionsarbeit. Das Lebenskompetenz- und Präventionsprogramm REBOUND stellt für mich, mit vielen gesundheitspädagogischen Hintergründen, eine Schnittstelle zwischen meinem, im Studium erworbenen Wissen, und der praktischen Präventionsarbeit dar.

Ich stehe hinter REBOUND, da ich den Ansatz, nichts zu verbieten, sondern Lebens-sowie Risikokompetenzen zu stärken, unterstütze. Um in Situationen klug zu handeln, in denen Alkohol und andere Drogen eine Rolle spielen, braucht es mehr, als den Hinweis auf Gefahren. Um bewusst Entscheidungen zu treffen, sind verschiedene Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Bewusstsein über die eigenen Stärken nötig. Risikobewusstes Verhalten beinhaltet im Zusammenhang mit Alkohol und anderen Drogen nicht totale Abstinenz.  Reflexion, Information, Kontrolle und Orientierung sind hingegen Aspekte, die erworben und gestärkt werden sollten.

Risikobewusstes Verhalten ist in allen Lebenssituationen, eingeschlossen derer, in denen Alkohol und andere Drogen eine Rolle spielen, eine Grundlage, die eigene Gesundheit zu schützen und zu bewahren. Aus diesem Grund, war es mir ein Anliegen, nicht nur einen theoretischen Überblick über REBOUND zu bekommen, sondern die Möglichkeit zu nutzen, einen Kurs zu unterstützen.

Ich habe die REBOUND-Implementationswoche als sehr lehrreich empfunden und einiges für mich mitnehmen können. Positiv war für mich, dass ich aufgrund meiner Arbeit während des Praktikums schon mehr Kontakt mit dem REBOUND Curriculum hatte, als die Kursleiter/innen, die sich für die geplante Woche neu vorbereiten und einlesen mussten. So hatte ich einen Überblick über Methoden, Ziele und Zusammenhänge, was vor allem beim spontanen Umplanen der Stunden hilfreich war. Sich auf die REBOUND Durchführung vorzubereiten, kann sehr zeitintensiv sein, ist allerdings mit dem sehr gut ausgearbeiteten Curriculum gut möglich. Die detaillierten Beschreibungen von Stundenaufbau, Methoden und Hintergrundinformationen, waren für mich und die anderen Kursleiter/innen immer hilfreich.

Bei der Umsetzung von REBOUND kam mir ebenfalls zugute, dass ich im Verlauf meines Studiums schon häufig präsentieren und vor Gruppen sprechen musste. Diese Kompetenz hat es mir auf jeden Fall erleichtert, diesen Kurs mit anzuleiten. Auch wenn ich von Anfang an keine Probleme hatte, vor der Klasse zu sprechen oder zu präsentieren, habe ich bemerkt, wie ich im Verlauf der Woche noch sicherer wurde. Am Anfang, war ich immer sehr gut vorbereitet und wusste, was ich wozu sagen wollte. Im Verlauf des Kurses wurde ich hier spontaner und war weniger an mein Konzept gebunden. Trotzdem ist mir eine gute Vorbereitung sehr wichtig, da diese für mich die Grundlage bildet, etwas authentisch vermitteln zu können. Wenn ich das Gefühl habe, Ahnung vom Thema zu haben und nicht nur Halbwissen zu erzählen, kann ich umso spontaner auf Situationen eingehen.

Als ausbaufähig habe ich meine Autorität der Klasse gegenüber empfunden. Ich könnte das darauf schieben, dass ich mit 22 Jahren nicht so viel älter als die Schüler war, allerdings ist das, meiner Meinung nach, etwas Grundlegenderes. Wie man in unruhigen Situationen die Aufmerksamkeit der Schüler zurückbekommt, sich durchsetzt und Nebengespräche unterbindet, empfinde ich als Kompetenz, die ich noch verbessern möchte.

Mein Fazit aus dieser Woche ist, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat, sich dieser Herausforderung zu stellen. Ich habe nicht nur Einblicke in die Umsetzung, des mir bisher nur theoretisch bekannten REBOUND Programms bekommen, sondern auch viele komplexe Zusammenspiele zwischen Schülern, sowie KursleiterInnen und Schülern beobachten können. Es war spannend, Einflüsse von Erwartungshaltungen an das Setting Schule und an Präventionsprogramme der Schüler zu beobachten. Wie die Stimmung, aber auch das Verhalten der Schüler sich im Kursverlauf änderten und was neben inhaltlichen Thematiken, den Verlauf des Kursgeschehens beeinflussen kann.

Ich bin froh darüber, die Möglichkeit bekommen zu haben, diesen Kurs zu unterstützen, und dass ich mit so netten und teamfähigen KursleiterIinnen zusammenarbeiten durfte. Das mir gegenübergebrachte Vertrauen, hat mir sehr geholfen, diese Erfahrung positiv für mich nutzen zu können.

Dieser Erfahrungsbericht wird in drei Teilen auf dem FINDER Blog publiziert. Man gelangt über die Links des Inhaltsverzeichnisses zu den entsprechenden Unterkapiteln.

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Vor der Durchführung des Kurses an einer Berliner Schule: Ausgangslage
  2. Schülerverhalten
  3. Entwicklungen der Stimmung im Kursverlauf
  4. Schwierigkeiten und Verbesserungsvorschläge
  5. Schlüsselsituationen: Was hat den Kursverlauf positiv beeinflusst?
  6. Meine Rolle als Praktikantin und Kursleiterin bei REBOUND

4.  Schwierigkeiten und Verbesserungsvorschläge

 

Im Laufe der Woche sind uns Kursleitenden einige Schwierigkeiten begegnet, manche haben wir erst spät bemerkt, wir mussten auf ungeplante Situationen reagieren oder spontan umplanen. Diese Situationen möchte ich im Folgenden beschreiben und mit Überlegungen ergänzen, wie wir diese hätten besser lösen oder schon vorbeugen können.

 

Personelle und organisatorische Schwierigkeiten

Wie bereits zu Beginn beschrieben, war der ursprüngliche Plan, REBOUND mit insgesamt sechs Kursleitern/innen durchzuführen. Noch vor Beginn des Kurses war klar, dass mindestens ein Lehrer weniger dabei sein würde, da dieser stundenplanerisch andersweit in der Schule gebraucht werden würde. Der Einsatz einer weiteren Lehrerin war krankheitsbedingt ebenfalls noch unklar.

Daher haben wir die Planung der Stunden für vier Kursleiter/innen vorgenommen und die verschiedenen Aufgaben und Methoden im Team verteilt. Am ersten Tag waren zunächst dann doch fünf Kursleiter/Innen anwesend, was im Nachhinein betrachtet fast zu viel war. Wenn wir den Kurs mit fünf verschiedenen Kursleitern/innen durchgeführt hätten, wären zwar nie alle gleichzeitig anwesend gewesen, allerdings hätte der ständige Wechsel das Gruppengefühl und das Vertrauen der Teilnehmer gegenüber uns Kursleitern vermutlich gemindert.

Am zweiten Tag ist dann ein weiterer Kursleiter krankheitsbedingt für den Rest der Woche ausgefallen. Aufgrund anderweitiger Termine waren auch die anderen Kursleiter/innen im Kursverlauf immer wieder einmal verhindert, was unsere vorherige Planung und Strukturierung der Tage hinfällig werden ließ.

Aufgrund der anfangs zahlreichen Kursleiter, die REBOUND umsetzen wollten, hatte uns ein klarer Sinn für Zuständigkeit gefehlt, sowie bei den meisten Kursleiter/Innen der Überblick über das gesamte REBOND Programm. Ins Gedächtnis zu rufen ist hier, dass dies die erste Umsetzung von REBOUND nach der Kursleiterweiterbildung war. Die Programmmacher gehen stets davon aus, dass Kursleiter mindestens drei Durchläufe absolvieren müssen, bevor sie wirklichen Überblick, persönliche Entspanntheit und Flexibilität im Einsatz des Materials gewinnen.

Im Großen und Ganzen hat sich unser Personal-Chaos nicht negativ auf den Kurs ausgewirkt. Es hat lediglich bei uns Kursleitern zu mehr Stress, spontanem Umplanen und durchgearbeiteten Pausen geführt. Das war an sich kein Problem, da wir spontan auf die Gegebenheiten reagieren konnten, lösungsorientiert vorgegangen sind und uns als Team immer schnell einigen konnten. Hilfreich war vor allem, dass sehr detailliert ausgearbeitete REBOUND Curriculum, an das wir uns in solchen Fällen gehalten haben.

Mein Fazit aus diesen Schwierigkeiten ist, dass es vermutlich sinnvoller ist, einen REBOUND-Kurs mit zwei bis drei festen Kursleitern zu planen, wenn denn überhaupt die Möglichkeit besteht, im Team zu unterrichten. Wenn eine klare Verantwortlichkeit besteht, erleichtert dies die Planung und Zuständigkeit. Zudem ist eine Entwicklung in Stimmung oder Verhalten der Teilnehmer besser zu beobachten, wenn die gleichen Kursleiter/innen die Klasse die gesamte Woche begleiten.

 

Inhaltliche Herausforderungen 

Eine weitere Herausforderung, die uns bei der Umsetzung aufgefallen ist, war das Vermitteln der MAGIC 7. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schüler den Zusammenhang der MAGIC 7 und unseren anderen Themen verstanden haben.

Diesen sieben Aspekten, hätten wir mehr Zeit zukommen lassen müssen, um den Kursteilnehmern die Bedeutung bewusst zu machen. Wir haben zwar alle Methoden, die das Curriculum zur MAGIC 7 vorschlägt, durchgeführt, allerdings nicht oft genug bei anderen Methoden und Themen darauf verwiesen, dass es hier gerade indirekt um einen der MAGIC 7 Aspekte geht. Eventuell hätte es für unsere Klasse Sinn gemacht, die Schüler die MAGIC 7 selbst präsentieren zu lassen, da sie sich so konzentrierter mit dem Thema hätten beschäftigen müssen.Zusätzlich wäre es für uns Kursleiter/innen wichtig gewesen, diese Aspekte öfter bewusst im Kopf zu haben, um diese in passenden Situationen zu erwähnen und auf Zusammenhänge zu verweisen.

Mein Tipp an zukünftige Kursleiter ist, sich mit den MAGIC 7 Aspekten wirklich vertraut zu machen, so dass klar ist, worauf die einzelnen Methoden des Curriculums abzielen und wie eine Verbindung von MAGIC 7 Aspekten und anderen Themen hergestellt werden kann. Dies hängt natürlich mit dem oben erwähnten Überblick zusammen, der vermutlich erst mit der Lehrerfahrung in REBOUND wächst.

 

Herausforderungen aufgrund von Heterogenität der Teilnehmer und Teilnehmerinnen

Schwierigkeiten, die aufgrund der Heterogenität der Klasse und verschiedenen Schüler-Typen entstanden, habe ich zum Teil schon im Abschnitt Schülerverhalten beschrieben.

Dies waren zum einen Schwierigkeiten, vor die uns die „desillusionierten Schülerinnen“ stellten, welche sich zunächst nicht auf die Inhalte des Kurses einlassen konnten. Diese drei Schülerinnen verweigerten sich am ersten Tag komplett. Sie arbeiteten bei keiner Gruppenarbeit mit, präsentierten keine Ergebnisse und gaben oft auch keine Antwort.Nachdem wir am ersten Tag versucht hatten, durch Argumentationen und positiven Zuspruch Zugang zu den Schülerinnen zu bekommen, wurden sie am zweiten Tag explizit zu mehr Kooperationsbereitschaft aufgefordert, auseinandergesetzt und in verschiedene Gruppen verteilt. Dies hatte den Effekt, dass sie von anderen, mehr motivierten Gruppenmitgliedern animiert wurden, bei Gruppenarbeiten mitzuarbeiten. Im Stundenverlauf fielen sie nicht mehr negativ auf, öffneten sich zwar nicht, aber der befürchtete negative Einfluss auf die anderen Kursteilnehmer blieb aus. Wir Kursleiter/innen bestärkten sie die kommenden Tage, gaben am Ende der Stunden in Einzelgesprächen positive Rückmeldung, und erklärten, dass wir sie als deutlich kooperationsbereiter wahrgenommen hatten.

Bei der Besprechung von Ideen für das REBOUND-Kursprojekt fielen uns zwei weitere Schülerinnen auf, die sich nicht mit den Kursthemen identifizieren konnten und die Themen ablehnten. Da sie sich im Verlauf der Woche als unauffällig und angepasst gezeigt hatten, war uns nicht aufgefallen, dass sie keinen Zugang zum Programm gefunden hatten.

Sie hatten keine Ideen für die Umsetzung eines Kursprojekts und wollten auch nicht verstehen, wieso sie überhaupt an einem Projekt arbeiten sollten. Unsere Unterstützung wollten sie nicht annehmen und lehnten alle Vorschläge ohne weitere Begründung ab. Bei der Projektpräsentation war eine der beiden nicht anwesend, sodass auch kein Ergebnis präsentiert wurde.Wir hätten früher bemerken müssen, dass diese zwei Schülerinnen nicht wirklich dabei waren und versuchen müssen diese mehr ins Kursgeschehen zu involvieren, um sie aus ihrer passiven Rolle zu locken.

Des Weiteren war eine der beiden weniger autonom und sehr auf die Meinung der Freundin fokussiert. Dies hat sie zusätzlich gehemmt, sich auf den Kurs einzulassen. Wir hätten zumindest diese Schülerin unterstützen können, indem wir sie einer anderen Gruppe zuteilen hätten können und so Einfluss der Freundin mindern. Zudem hätten wir die beiden nicht nur zu zweit ein Kursprojekt erarbeiten lassen dürfen, sondern sie auch für diesen Teil in zwei verschiedene größere Gruppen einteilen.

Ein Schüler, der während des Kurses oft störend aufgefallen ist, da er sich lieber mit Mitschülern unterhalten hat, als am Kurs teilzunehmen, stellte uns insoweit vor eine Schwierigkeit, dass wir ihn oft ermahnen oder zur Ruhe auffordern mussten. Da ihm der REBOUND Kurs schon bekannt war, hätten wir ihn viel öfter einbinden können, ihn direkt über Themen berichten lassen können, anstatt ihn aufzufordern nicht zu stören.

 

Schwierigkeit bei der Umsetzung der Projektarbeit  

Eine Schwierigkeit, die sich aufgrund der personellen Umplanungen ergab war, dass wir die Schüler am Tag der Projektentwicklung selbstständig arbeiten ließen und diese nicht in die Schule kommen mussten. Wir hatten die Projektarbeit an den Tagen zuvor gemeinsam vorbereitet und wollten die fertigen Projekte am letzten Tag gemeinsam anschauen und bewerten. Das Curriculum sieht eigentlich vor, dass die Kursleiter/innen die Projektentwicklung am Projekttag begleiten und für Rückfragen zur Verfügung stehen. Das Projekt soll von den Schülern noch am Projekttag fertiggestellt und abgegeben werden. Nach Absprache mit den Schülern und Eltern, haben wir beschlossen, dass die Schüler frei arbeiten dürften und das Projekt erst am kommenden Tag mitbringen müssten. Dies hat in den meisten Fällen auch geklappt, die Projekte wurden vorgestellt und von der Klasse und uns bewertet. Zwei Gruppen, unter diesen auch die zwei bereits erwähnten Mädchen, welche sich nicht auf die Projektarbeit einlassen wollten, konnten uns am letzten Tag kein Ergebnis vorstellen. In dieser, sowie in einer anderen Gruppe, war eine Person nicht anwesend, welche laut den Schülern den USB-Stick bzw. das Plakat mit der Projektarbeit in Besitz habe. In beiden Fällen forderten wir die Schüler auf, die Projektarbeit in der nächsten Woche bei den Klassenlehrern nachzureichen.

Dies hätten wir vermutlich verhindern können, wenn wir uns am Tag der Projektarbeit in der Schule zum Start und Abschluss der Entwicklung getroffen hätten. Abgesehen davon, hätten die Schüler weder unsere technische noch inhaltliche Unterstützung gebraucht, da sehr gute und sehenswerte Projekte entstanden sind.

Kritik der Schüler 

Kritik, die von den Schülern am Programm geäußert worden war, bezog sich hauptsächlich auf die Impulsspiele, welche wir häufig zu Beginn der Stunden als Wachmacher eingesetzt hatten. Die meisten Schüler fühlten sich während dieser Spiele nicht wirklich wohl oder empfanden die Situation als unangenehm. Ich kann diese Kritik gut nachvollziehen, allerdings würde ich auf Impulsspiele nicht verzichten. Nach längeren Pausen oder Abschnitten, in denen die Schüler eher eine passive Rolle einnehmen, wirken diese Spiele Kreislauf aktivierend und konzentrationsfördernd. Es kann Sinn machen, sich andere Spiele zu überlegen, die auflockern, den Schülern aber nicht als unnatürlich oder lächerlich vorkommen.

Wir hätten der Klasse teilweise mehr Verantwortung zukommen lassen und die Schüler Themen selbst erarbeiten und präsentieren lassen können. Das wäre bei einer so aktiven und interessierten Klasse durchaus möglich gewesen und hätte zu mehr selbstständigen Denken angeregt. Für den ersten REBOUND Durchlauf war es für uns einfacher, den Kurs so durchzuführen, wie das Curriculum es vorschlägt. Für zukünftige Durchläufe kann man das im Kopf behalten und Methoden teilweise mehr auf die Klasse zuschneiden.

Abschließend bleibt zu sagen, dass wir zwar einige Schwierigkeiten hatten, diese aber nicht gravierend waren oder den Kurs wesentlich negativ beeinflusst haben. Dafür, dass es für uns alle das erste Mal war, das wir REBOUND durchführten, sind wir sehr zufrieden mit der Woche und dem Ergebnis. Diese Erfahrungen können wir für die nächste Durchführung nutzen und vielleicht dann das ein oder andere besser machen.

 

 

5.  Schlüsselsituationen: Was hat den REBOUND-Kursverlauf positiv beeinflusst?

 

Im Kursverlauf waren einige Schlüsselsituationen zu erkennen, die den Kursverlauf, die Grundstimmung der Klasse und so die Grundlage für Lernbereitschaft beeinflusst haben.

Als sehr positiv, habe ich die Filmarbeit wahrgenommen. Die Schüler waren interessiert bei der Sache, haben sich auf die Methoden eingelassen und wurden zum Nachdenken angeregt. Eine Schlüsselsituation habe ich nach dem Film „Testspiel“ wahrgenommen. Im Film geht es darum, dass ein paar Jungen auf einem Festival mit älteren Studierenden viel Alkohol trinken, zu Trinkspielen animiert werden und sichtbar über ihre Grenzen gehen. Ein Junge kollabiert, die Freunde drehen ihn auf den Rücken, nehmen ihm noch fürsorglich die Brille ab und fahren darauf hin zum Festivalgelände. Als sie zurückkommen, ist der Junge an seinem Erbrochenen erstickt. Diese Geschichte beruht, wie alle anderen REBOUND Filme, auf einer wahren Begebenheit.

Die Schüler waren nach dem Film sehr ruhig und haben Mitgefühl gezeigt. Sie empfanden diesen Film als „traurig und erschreckend“, weil ihnen bewusst wurde, dass so etwas jedem von ihnen passieren hätte können, wenn den Freunden nicht bewusst ist, wie in solch einer Situation gehandelt werden müsse. Nach der Filmbesprechung haben wir mit den Schülern die „Stabile Seitenlage“ geübt. Bei dieser Übung waren alle Schüler aktiv dabei. Auch diejenigen, die im bisherigen Kursverlauf nicht besonders motiviert wirkten oder Gruppenarbeiten verweigert hatten, haben bei dieser Übung mitgemacht. Alle Schüler haben sich in die verschiedenen Rollen, der Helfenden und der zu Rettenden, begeben und sich nach dieser Stunde sicherer gefühlt, jemandem in einer Notsituation helfen zu können, als zuvor.

 

Eine weitere Schlüsselsituation war in der „Lebenswegstunde I“ zu erkennen, in welcher normalerweise Mentoren-Gespräche in Kleingruppen stattfinden. Die Schüler können hier für gewöhnlich in Austausch mit Personen treten, die bereits bestimmte Entwicklungsaufgaben bewältigt haben und als positive Modelle aus ihrer Lebensgeschichte erzählen. Die Aufgabe der Schüler ist es anschließend Stärken der Mentoren zu erkennen, welche diesen in schwierigen Situationen geholfen haben und wie sich die Mentoren verschiedenen Herausforderungen gestellt haben. Da wir für diesen Tag keine Mentoren gewinnen konnten, haben wir mit biographischen Texten aus dem Aufklärungsbuch „High Sein“ (von Jörg Böckem und Henrik Jungaberle) gearbeitet. Die Schüler waren von den Geschichten der Personen sehr beeindruckt und konnten nach dem Lesen jener Textauszüge, die schwierige Situationen und dramatische Lebensgeschichten erzählten, klar Stellung beziehen, dass sie nie in solche Situationen kommen wollen würden.

Anschließend wurden die Schüler dazu angeregt ihr persönliches Mentoren-Netzwerk zu erstellen. Hierbei sollen wichtige Personen im eigenen Leben erarbeitet werden, deren Stärken und was man von diesen Personen lernen könnte. In der anschließenden Besprechung öffneten sich einige Schüler der Klasse, erklärten, was ihnen wichtig sei und welche Personen in ihrem Leben eine bedeutsame Rolle spielten. Ein Mädchen zeigte sich äußerst mutig und erzählte vom Tod einer Freundin, welcher sie sehr belaste. Der Großteil der Klasse hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts von dem Ereignis gewusst und nahm diese Information betroffen auf. Trotz, oder gerade auf Grund dieser schwierigen Themen, war an diesem Tag eine andere Verbundenheit und ein tieferes Vertrauen in der Klasse zu spüren.

Als ebenfalls positive Situationen, habe ich die sehr interaktiven Tabak- und Cannabis-Präsentationen wahrgenommen. Die Schüler waren interessiert, haben Fragen gestellt und die Präsentationen durch eigene Erfahrungen ergänzt. Da auch einige von uns Kursleitern von persönlichen Erfahrungen berichtet haben, hat sich die vertrauensvolle Grundstimmung noch verstärkt und deutlich vom normalen Unterrichtsgeschehen unterschieden. Die persönliche Offenbarung war an dieser Stelle passend und hat den Schülern gezeigt, dass nicht nur sie sich öffnen, sondern auch wir ihnen vertrauen. In REBOUND wird Selbstoffenbarung der Kursleiter nach klaren Regeln und immer reflektiert eingesetzt.

Einige Schüler haben sehr offen über ihre eigenen Erfahrungen mit Alkohol und Cannabis gesprochen, was den Austausch zu diesem Thema erleichtert hat. Eine wichtige Situation entstand in der Cannabisstunde, durch die Stellungnahme eines beliebten Schülers. Dieser hat den leichtsinnigen Umgang mit Cannabis kritisiert, dabei niemanden schlecht dargestellt, aber den Mitschülern eindrücklich „ins Gewissen geredet“. Er hat von einem ehemaligen Mitschüler berichtet, der allen Mitschülern bekannt war und der inzwischen große Probleme auf Grund seines Drogenkonsums bekommen habe. Zum einen benannte der berichtende Schüler den sozialen Abstieg seines Freundes. Dieser bekomme nichts mehr wirklich auf die Reihe und er habe sich vom Freundeskreis distanziert. Aber auch eine Veränderung seines Wesens sei zu beobachten gewesen. Dieser Junge habe anfangs auch nur ab und zu Cannabis konsumiert, bis dies immer regelmäßiger wurde und er, durch den Umgang mit Menschen aus seinem neuen konsumoffenen Freundeskreis, zu weiteren psychoaktiven Substanzen überging. Inzwischen sei dieser Junge abhängig, wisse selbst, dass er etwas ändern müsse, aber schaffe es momentan nicht aus eigener Kraft.

Der Schüler wendete sich nicht an uns KursleiterInnen sondern direkt an die Klasse. Er formulierte seinen Bericht nicht als reine Erzählung, sondern wollte mit seiner Botschaft die anderen zum Nachdenken animieren. Er forderte dazu auf, den Konsum nicht zu verharmlosen und sich bewusst zu machen, dass man sich durch verschiedene Risiken des Cannabiskonsums seine Zukunft verbauen kann.

Diese „Ansage“ war sehr deutlich und wurde daraufhin auch nicht weiter kommentiert oder von anderen entkräftet. Es war sehr wichtig, dass diese Risikoverdeutlichung aus Reihen der Schüler kam und mit einem Beispiel untermauert war, das allen Mitschülern bekannt war. So erschien die Botschaft nicht abstrakt sondern sehr realitätsnah.

Insgesamt würde ich die Mischung aus Lebenskompetenz-Training und Informationen über Alkohol und anderen Drogen als Grundlage werten, die einen so persönlichen Austausch ermöglicht hat. Da sich die Schüler in den ersten Stunden mit sich selbst, den eigenen Stärken und Einstellungen auseinandergesetzt haben, war ein stärkerer Selbstbezug beim Thema Alkohol und andere Drogen möglich.

Eine wichtige Voraussetzung war zudem, dass die Schüler sich gegenseitig vertraut haben und so ermutigt waren offen zu sprechen. Diese Offenheit wäre, meiner Meinung nach, nur schwer möglich gewesen, wenn die drei Schülerinnen, die zu Beginn durch sehr destruktives Verhalten auffielen, sich nicht doch auf den Kurs eingelassen hätten. Die anderen Schüler hätten vermutlich kaum sehr Persönliches preisgegeben, wenn sie das Gefühl gehabt hätten, das Erzählte würde in einer Kleingruppe kommentiert und lächerlich gemacht. Der methodisch klare Umgang mit solchen Schülern scheint mir eine Voraussetzung für das Gelingen des gesamten Kurses. Ebenfalls war wichtig, dass sich die Schüler vor Beginn des REBOUND-Kurses kannten und nicht für den Kurs neu zusammenkamen. Dadurch war bereits ein gewisses Vertrauen vorhanden, welches in dieser Woche noch deutlich ausgebaut wurde.

Hilfreich war zudem, die am ersten Tag erstellte Respekt-Vereinbarung, welche jeder Schüler unterschrieben hat. Zu den von uns vorgestellten Punkten:

  1. Jeder im Kurs ist eingeladen Erfahrungen mitzuteilen
  2. Niemand muss mitteilen was er oder sie nicht will
  3. Was im Kurs erzählt wird, soll nicht nach außen getragen werden

wurde in der ersten Stunde auf Wunsch der Schüler die Regel „Gesagtes bleibt unkommentiert und wird nicht bewertet“ hinzugefügt. Dies war eine sehr wertvolle Regel, auf die wir uns mehrfach berufen konnten und die von den Schülern so umgesetzt wurde.

Sehr positiv ist die eigene Projektarbeit bei den Schülern angekommen. Wenn die Zeit es zulässt, würde ich die Projektarbeit immer durchführen, da die Schüler hier Gelerntes in einem gemeinsamen Projekt vertiefen können. Sie können selbst kreativ werden und in einer Kleingruppe einen Film drehen, einen Cartoon erstellen, ein Plakat entwerfen oder ähnliches. Der Schwerpunkt soll hier auf dem Thema Alkohol und andere Drogen oder Stärken liegen.

Die Kursprojekte unserer Schüler waren thematisch sehr vielfältig und einfallsreich. Wir hatten sowohl Projekte zum Thema Stärken als auch zum Thema Alkohol und andere Drogen. Im Feedback der Schüler wurde deutlich, dass ihnen die Projektarbeit großen Spaß bereitet hat und fast alle Teilnehmer motiviert ein Projekt entworfen haben.

Insgesamt wurde REBOUND von der Klasse sehr positiv aufgenommen und als unterstützend bewertet. Alle Schüler sagten, etwas aus dem Kurs mitgenommen zu haben und die Woche über Spaß gehabt zu haben. Die Aussage eines Schülers „Das war die erste Projektwoche, bei der ich nicht nach einem Tag krank war“ ist wohl als deutlich positives Feedback zu verstehen.

 

Lesen Sie weiter in Teil 3/3

Dieser Erfahrungsbericht wird in drei Teilen auf dem FINDER Blog publiziert. Man gelangt über die Links des Inhaltsverzeichnisses zu den entsprechenden Unterkapiteln.

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Vor der Durchführung des Kurses an einer Berliner Schule: Ausgangslage
  2. Schülerverhalten
  3. Entwicklungen der Stimmung im Kursverlauf
  4. Schwierigkeiten und Verbesserungsvorschläge
  5. Schlüsselsituationen: Was hat den Kursverlauf positiv beeinflusst?
  6. Meine Rolle als Praktikantin und Kursassistentin bei REBOUND

 

1.  Vor der Durchführung des REBOUND-Kurses an einer Berliner Schule: Ausgangslage

 

Vom 11.07.2017 bis 14.07.2017 habe ich an einer Berliner Schule die Umsetzung des Lebenskompetenz- und Präventionsprogramm REBOUND als Kursassistentin begleitet. Tatsächlich war ich so in das lokale REBOUND-Team eingebettet, dass ich teilweise die Rolle einer Kursleiterin übernehmen konnte – im Team mit den REBOUND-Lehrern der Schule.

Derzeit wirke ich, im Rahmen meines Praxissemesters, bei der FINDER Akademie für Prävention und erfahrungsbasiertes Lernen, in verschiedene Bereiche der Drogen- und Präventionsforschung mit. In diesem Rahmen habe ich an der REBOUND Kursleiter-Weiterbildung teilgenommen, habe dort einen Einblick in das Programm bekommen, die Grundhaltung und Intention, sowie den Aufbau von REBOUND kennengelernt.

Da mich der lösungsorientierte und positive Ansatz von REBOUND überzeugt hat, wollte ich das, in der Weiterbildung Gelernte, auch gerne in der Praxis ausprobieren und anwenden. Ich habe die Chance bekommen, an einer Schule im Bezirk Steglitz-Zehlendorf an der Umsetzung von REBOUND mitzuwirken und konnte viele spannende Erfahrungen sammeln.

Gemeinsam mit fünf weiteren Kursleitern wollte ich mich an das Projekt wagen, den REBOUND Kurs an dieser Schule das erste Mal durchzuführen. Unter den an der Schule arbeitenden Kursleitern sind zwei Sozialpädagogen und drei Lehrer/Innen. Alle wurden im Laufe der letzten zwölf Monate vor Start dieses Kurses in einer viertägigen Weiterbildung der FINDER Akademie geschult. Geplant war, REBOUND in fünf Blockveranstaltungen innerhalb einer Woche durchzuführen. Unsere Zielgruppe war eine der 9ten Klassen dieser Schule, mit 26 Schülerinnen und Schülern. Thematisch orientierten wir uns an dem REBOUND 1.0 Curriculum und planten, die Woche so zu gestalten, wie es dieses vorsieht.

In der Woche der Umsetzung, sind wir als Kursleiter erwartungsgemäß an manche Grenzen gestoßen und mussten ungeplanten Situationen gerecht werden. Im Kursverlauf sind wichtige Schlüsselsituationen entstandenen, sowie eindeutige Entwicklungen im Kursgeschehen und dem Verhalten der Teilnehmer zu beobachten gewesen. Diese Erfahrungen möchte ich gerne mit allen teilen, die sich für das REBOUND Programm interessieren: dafür wie ein Kurs ablaufen kann, wie dieser von unseren Schülern angenommen wurde und was wir im Team der REBOUNDer bei der nächsten Durchführung anders machen würden.

 

2.  Schülerverhalten im REBOUND-Kurs

Die Schüler der Klasse, in der wir REBOUND durchgeführt haben, waren zwischen 15 und 16 Jahre alt. Zu Beginn waren viele noch zurückhaltend und abwartend, nur Einzelne haben bereits am ersten Tag Persönliches von sich preisgegeben. Ich habe den Großteil der Klasse als sozial und aufmerksam wahrgenommen. Wie fast jede große Gruppe, war auch diese sehr heterogen. Diversitäten bezüglich Interessen, Charaktere, Geschlecht aber auch des Entwicklungsstands stellten uns Kursleiter vor verschiedene Herausforderungen. In meinem bereits veröffentlichten Blogeintrag Eine Botschaft- Acht Empfänger kann man etwas über die Eigenarten, das Verhalten und Kommunikationsweisen verschiedener Schüler-Typen nachlesen. Auch in diesem Kurs konnte ich verschiedene Charaktere und Schüler-Typen beobachten, sowie deren Reaktion auf das Kursangebot.

Größtenteils wurde REBOUND von der Klasse gut angenommen. Die meisten Teilnehmer waren neugierig und interessiert, sie waren bereit, Experimente einzugehen, sind unvoreingenommen und offen an neue Situationen herangegangen.

Drei Schülerinnen stellten uns anfangs vor Probleme, da sie sich dem Kurs und uns als Kursleiter/innen komplett verweigerten, sich weder auf Methoden noch auf Gespräche einließen. Sie fielen deutlich provokant auf. Wir hatten also die Befürchtung, dass sie die Grundstimmung im Kurs negativ beeinflussen würden.

Eine weitere – über die Woche unauffällige – Schülerin konnte sich ebenfalls nicht auf die verschiedenen Inhalte einlassen und keinen Selbstbezug herstellen. Vor allem bei der Ideenentwicklung der REBOUND-Projektarbeit fiel auf, dass sie sich den Kursinhalten nicht öffnete. Im Rahmen des 16-stündigen Kurses haben die SchülerInnen in Gruppen Gelegenheit, ein eigenes künstlerisches Projekt zu gestalten. Meist wählen die Schüler Themen aus ihrer eigenen Lebenswelt, mit denen Sie sich beschäftigen. Sie jedoch konnte keinen Bezugspunkt zu ihrem Leben feststellen und wollte mit allem nichts zu tun haben.

Dieser vier Schülerinnen kann ich dem Schüler-Typus der „Desillusionierten“ zuordnen. Diese „lehnen Methoden und Inhalt des sozialen Lernens ab, weil sie keinen positiven Bezug zu Kursthemen, Kursleiter oder Schule als Ganzes entwickeln“ (LINK).

Eine weitere sehr unauffällige Schülerin ließ sich durch das Verhalten der „desillusionierten“ Freundin beeinflussen. Sie fiel in den Gesprächen im Kursverlauf nicht negativ auf, war zurückhaltend und äußerte kaum eine eigene Meinung. Bei der Ideenentwicklung für die Projektarbeit war zu bemerken, dass sie sich an die Meinung und das Verhalten der bereits beschriebenen „desillusionierten“ Schülerin anpasste. Wenn man sie direkt ansprach und nach ihrer Meinung fragte, antwortete sie zum Teil gar nicht, ließ die Freundin für sich sprechen oder gab uns Antworten wie: „So halt“ oder „keine Ahnung“. Diese Schülerin zeichnete sich im Gegensatz zu der Freundin als weniger autonom ab und ist in unserer Schüler-Typologie eher dem Typus der „Mitläufer“ zuzuordnen.

Ein weiterer Schüler, kannte REBOUND bereits aus seiner vorherigen Schule. Er war dementsprechend nicht immer aufmerksam bei der Sache. Oft verwickelte er Mitschüler in Gespräche und brachte so Unruhe in die Stunden. Diesen Schüler kann ich dem Schüler-Typus des „Rebellen“ zuordnen. Für ihn stand das Thema Autonomie über dem des Kursinhalts. Er fiel unter die Beschreibung der „unaufmerksamen Störenfriede“ und hat immer wieder die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler auf sich gezogen.

Die „Meinungsführer“ der Klasse waren sehr am Kursgeschehen interessiert und haben den Kurs durch wertvolle Beiträge vorangebracht. Bei den Jungen war ein Meinungsführer deutlich zu identifizieren. Er war meistens aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligt und forderte die Klasse des Öfteren zur Ruhe und Aufmerksamkeit auf. Oft stand er in Interaktion mit uns Kursleiter/innen und zeichnete sich durch wertvolle Selbstoffenbarungen aus. Auf Seiten der Mädchen hat sich niemand als deutliche Meinungsführerin abgehoben, jedoch waren zwei bis drei Mädchen oft involviert, haben ihre Meinungen unabhängig von jener der anderen geäußert und standen in positiver Interaktion mit Mitschülern und Kursleiter/innen.

Ein Schüler, der die Woche über sonst eher unauffällig war, hat eine sehr wichtige Schlüsselsituation kreiert. Er kann dem Schüler-Typus der „Authentischen“ zugeordnet werden. Dies sind „Schüler, denen es gelingt ihre Erfahrungen im Umgang mit den Kursthemen persönlich und affektnah anzusprechen (Selbstbezug auszudrücken). Sie haben die Chance, auch für andere bedeutsame Momente zu kreieren.“ (LINK)

Dieser Schüler zeichnete sich durch eine höhere Autonomie aus, als die meisten anderen der Klasse. Er war bei den Mitschülern beliebt, hat aber nicht so gewirkt, als suche er nach der Anerkennung der Mitschüler oder Kursteilnehmer. Seine Stellungnahme beim Thema Cannabis war, mit einer den Kursinhalt unterstützenden Botschaft, ein sehr wertvoller Beitrag.

Im Verlauf der Woche, konnten wir eine deutlich positive Entwicklung der Verhaltensweisen der Schüler aber auch der Grundstimmung erkennen. Wir konnten manche Schwierigkeiten lösen, die im Zusammenhang mit den hier beschriebenen Schüler-Typologien standen und hätten im Rückblick bei manchen Interaktionsproblemen früher aktiv eingreifen müssen.

Hier sind acht verschiedene Schüler-Typen bildlich dargestellt, von denen ich einige auch unter den Teilnehmern des REBOUND Kurses identifizieren konnte. Diese sind in meinem Blog Eine Botschaft – Acht Empfänger genauer beschrieben.

3.  Entwicklung der Stimmung im REBOUND-Kursverlauf

 

Am ersten Tag waren viele Schüler noch passiv, abwartend aber interessiert. Im Verlauf der Kurstage, konnten immer mehr Schüler den im Programm so entscheidenden Selbstbezug herstellen und von persönlichen Erlebnissen und Geschichten berichten. Dies hat den Kursverlauf äußerst positiv beeinflusst, da sich eine vertrauensvolle Umgebung entwickelt hat. Diese Umgebung hat Raum für weitere persönlich Erzählungen geschaffen, bei denen einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer großen Mut bewiesen haben, sich der ganzen Klasse zu öffnen.

Dies war sehr wichtig, da die Schüler sich gegenseitig zum Nachdenken anregten, Erlebnisse erzählt werden konnten, die sonst nicht vor der Klasse preisgegeben worden wären und bei den Schülern dadurch eine größere Bereitschaft entstanden ist, sich auf Kursinhalte einzulassen und diese auf das eigene Leben zu beziehen.

Es war zu spüren, dass der REBOUND Kurs im Verlauf des zweiten Tags von der Klasse angenommen worden war und bei fast allen, die noch anfänglich zu spürende Skepsis, Offenheit und Neugierde gewichen war.

Ich würde diese positive Entwicklung den sehr interaktiv ausgelegten REBOUND Methoden zuschreiben. Die Schüler wurden durch diese angeregt, miteinander in Austausch zu kommen. Die Themen der Filmarbeit sind realitätsnah, daher fiel den Schülern der Bezug zum eigenen Leben nicht schwer und lieferten die Grundlage, Persönliches zu berichten. Die Methoden im Themenblock „Stärken“ haben dazu geführt, dass die Schüler positives Feedback bekommen und sich angenommen gefühlt habe.

Die Grundlage, für die positive Entwicklung des Kurses war so geschaffen und wurde durch den hohen Selbstbezug unterstützt. Welche Situationen hierbei eine wichtige Rolle spielten, wird im Abschnitt Schlüsselsituationen: Was hat den Kurs positiv beeinflusst? genauer beschrieben.

 

Lesen Sie weiter in Teil 2/3

 

Universell angelegte Präventionsprogramme werden häufig im Setting Schule durchgeführt. Dies hat den Vorteil eines niederschwelligen Zugangs zur Zielgruppe und das Erreichen einer heterogenen Gruppe an Jugendlichen. Die Inhomogenität dieser Gruppe stellt die Präventions-Pädagogen allerdings vor Herausforderungen, welche je nach Bewältigung, über den Erfolg oder Nicht-Erfolg des Programms entscheiden können. Unterschiede in Charakteren, Lebenslagen und Interessen der Zielgruppe stellen nicht nur die Implementationstreue in Frage, sondern fordern auch einen professionellen Aufbau von sozialer Kompetenz und Unterrichtsstil seitens der Lehrkräfte. Diese pädagogischen Grundlagen werden heute häufig nur unzureichend in der Ausbildung von Multiplikatoren für Präventionsprogramme vermittelt.

Für das Gelingen von Präventionsprogrammen im Schulsetting, ist eine erfolgreiche Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren unabdingbar und erfordert Methoden, um die Herausforderungen der Heterogenität zu bewältigen.

Zur Beschreibung erfolgreicher Methoden, um mit unterschiedlichen Interaktionsverhalten umzugehen und eine Verbesserung in der Schulung von Pädagogen und Multiplikatoren zu erreichen, wurde eine Schüler-Typologie konstruiert. Diese empirisch-begründeten „constructed types“ stellen eine Mischung aus real im Feld vorkommenden Personen und konzeptioneller Zuspitzung dar. Zwischen den Typen mit verschieden Ausprägungen gibt es fließende Übergänge, weshalb sie selten abgrenzbaren Klassen zugeordnet werden können. Der Begriff der Typologie beinhaltet, dass sich die Elemente innerhalb eines Typus möglichst ähnlich sind und sich von anderen Typen maximal unterscheiden. Von Klassifikation wird gesprochen, wenn einem Objekt ein Merkmal eindeutig zu-oder abgesprochen werden kann, was in sozialen Systemen jedoch selten möglich ist.

Die vorliegende „Schülerinnen- und Schüler“-Typologie wurde im Umfeld des REBOUND-Programms entwickelt, welches sich an 14-25-jährige richtet. REBOUND ist ein 16 teiliges, empirisch überprüftes Lebenskompetenz- und Präventionsprogramm und wird von Pädagogen und jungen Mentoren gemeinsam durchgeführt. Diese berichteten in Supervisionen von erheblichen Unterschieden im Interaktionsgeschehen bei der Durchführung ihrer Kurse. 38 Präventionspraktiker entwickelten – durch eine unsystematische Sammlung von elf Schülertypen – die Grundlage für die Systematisierung der Typologie zu „constructed types“. Des Weiteren wurden Berichte von teilnehmenden Schülern, Mentoren und praktizierenden Präventionspädagogen, sowie Notizen aus Weiterbildungen und Supervisionen mit einbezogen, um die empirisch-begründete Typologie zu erstellen. Es wurden 8 verschiedene Typenbegriffe erstellt, welche nicht auf Persönlichkeitsmerkmalen, sondern kontextabhängigen Interaktionsstilen zwischen Schülern und Pädagogen beruhen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich Motivation, Kommunikation, Beteiligung und Autonomie gegenüber den Peers. Die Typenbegriffe lauten: Die Meinungsführer, die Mitläufer, die Authentischen, die Pseudo-Reflektierten, die Außenseiter, die Leistungsorientierten, die Desillusionierten und die Rebellen.

(1) Die Meinungsführer

Sind Schüler/Innen die dominieren und eine wichtige Rolle in der Vermittlung von Präventionsbotschaften übernehmen. Die Autonomie gegenüber den Peers ist hoch. Der Einfluss auf die Klasseninteraktion kann positiv oder negativ sein. Stehen einzelne Charaktere oft im Mittelpunkt oder sind sehr engagiert, entsteht für Lehrpersonen die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen Meinungsführern und dem Rest der Klasse herzustellen, ohne die Engagierten zu enttäuschen.

(2) Die Mitläufer

Zeichnen sich durch weniger autonome und mehr an der Gruppendenkweise orientierte Kommunikation aus. Ihr

Interaktionsverhalten wird von den Peers als eher positiv und den Lehrern meist als angepasst wahrgenommen. Eine Herausforderung für Kursleiter ergibt sich, wenn sich die Mitläufer an Meinungsführer mit negativen Interaktionsmustern orientieren.

(3) Die Authentischen

Sind häufig sensitive, selbstreflexive, aber auch körperlich weiter entwickelte Schüler mit hoher Autonomie. Sie können das Interaktionsgeschehen positiv beeinflussen, da es ihnen gelingt Selbstbezug auszudrücken und Persönliches zu offenbaren. Auch aufrichtige Kritik an Kursleitern, Peers oder Kursthemen können einen positiven Einfluss haben.

Die Authentischen zeigen häufig Interesse an den sozialen Themen der Präventionskurse, bauen leichter positive Beziehungen zu Lehrenden auf, stehen dafür aber nicht selten in Konflikt mit abgeneigten Peers.

(4) Die Pseudoreflektierten

Zeigen sich häufig motiviert, meinen Vermitteltes unmittelbar zu verstehen, stellen allerdings keinen Selbstbezug her. Sie neigen zu sozial erwünschtem Verhalten, aber haben Probleme das erworbene Wissen auf sich selbst oder Anwendungssituationen zu übertragen.

 

 

(5) Die Außenseiter

Stehen am Rande des Interaktionsgeschehens, unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Merkmale und Gründe aber stark. Häufig sind unter ihnen hoch belastete Personen, welche sich am Kursgeschehen allerdings selten beteiligen. Aufgrund der hohen Belastung und der Bedeutsamkeit für die Klasse als Ganzes, wird Kursleitern die wichtige Aufgabe zuteil, Außenseiter in das Geschehen des Präventionskurses zu involvieren. Ob diese zum Interaktions-Bündnispartner oder -Gegenspieler werden, hängt häufig von der Reaktion der Peers auf die Initiative der Kursleiter ab, die Außenseiter zu involvieren. Gelingt die Integration der Außenseiter ins Kursgeschehen, können auch die anderen Schüler davon profitieren.

(6) Die Leistungsorientieren

Fordern die Gewichtung von Fakten stärker zu berücksichtigen als die Selbst- und soziale Reflexion. Sie kommunizieren eher selten konstruktiv mit ihren Peers aber können trotz teilweise geringem Interesse am Kursthema stark auf den Kursleiter orientiert sein.

 

 

(7) Die Desillusionierten

Fühlen sich leicht von Kursleitern unter Selbstoffenbarungsdruck gesetzt und lehnen Methoden und Inhalte des sozialen Lernens ab. Sie verfügen über eine geringe persönliche oder kollektive Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich Veränderungen, die durch präventive Veränderungen möglich sind. Kursleiter und Mentoren werden vor die Herausforderung gestellt, eine Veränderung der Interaktionsmuster zu erreichen und die Desillusionierten einzubinden. Eine Veränderung kann durch bedeutsame Momente mit Authentizitätscharakter geschaffen werden.

(8) Die Rebellen

Verfolgen oft unabhängig von Kursinhalten das Entwicklungsthema Autonomie. Sie können positiven oder negativen Einfluss auf das Kursgeschehen haben. Positiv kann die Authentizität in ihrem Kommunikationsverhalten wirken. Vor Herausforderungen werden Kursleiter gestellt, wenn sich „die Rebellen“ über die Notenfreiheit, Kommunikationsregeln oder interaktive Methoden in den Mittelpunkt stellen oder die Peers durch Rivalität mit dem Kursleiter beeindrucken wollen. Dies kann tiefere Gespräche verhindern und andere Kursteilnehmer   ablenken.

 

 

Schüler-Interaktionsmuster sollen von Pädagogen differenziert wahrgenommen werden und mit einer methodisch überlegten Reaktion beantwortet werden. Zusammen mit Konsumerfahrenheit der Schüler und Lehrer-Interaktionsmuster spielen Schüler-Interaktionsmuster eine entscheidende Rolle für die Vermittlung von Risikobotschaften und schadensminimierenden Informationen. Die konstruierte Schüler-Typologie ist nützlich für die Anwendung im gezielten Interaktionstraining von Kursleitern in Weiterbildungen und Supervision. Das Ziel liegt darin, produktive Strategien im Umgang mit der Vielfalt im Klassenzimmer zu erlernen.

 

Dieser Text ist ein überarbeiteter Auszug aus folgendem Artikel:

Kröninger-Jungaberle, H., & Schuldt, F. (2014). Abschied von der Homogenität – Eine Interaktions-Typologie von Jugendlichen in der Prävention des Missbrauchs von Alkohol und anderen Drogen. Rausch – Wiener Zeitschrift für Suchttherapie, 3(1), 45–57

Fortsetzung der Serie zu Peer-Involvement:

Internationale Forschung zum Einsatz von Mentoren im Rahmen von Programmen der Gesundheitsförderung

Die internationale Forschergemeinde hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den Potenzialen des Peer-Mentoring sowie der Erhebung der Effektivität bestehender Mentoring-Programme beschäftigt. Ein Teil des insbesondere in Kanada und den USA sehr verbreiteten Einsatzes von Mentoren in Jugendarbeit, akademischer Ausbildung und Berufswelt wurde umfänglich evaluiert und in Meta-Analysen systematisch begutachtet. Moderne Ansätze des Mentoring weichen in ihrer Konzeption zum Teil erheblich von klassischen Mentoring-Ansätzen ab. Da Mentoring-Programme häufig aus der Praxis heraus entstehen, bedürfen sie einer genaueren empirischen Überprüfung (Bozeman & Feeney, 2007).

Eine multidisziplinäre Meta-Analyse aus dem Jahre 2008 (Eby, Allen, Evans, Ng & DuBois) untersuchte Mentoring-Programme aus Jugendarbeit, akademischer Ausbildung und Berufswelt hinsichtlich der erzielten Effekte und Effektstärken. Die Analyse zeigte eine Reihe von positiven Ergebnissen bei allgemein geringer Effektstärke. Es konnte eine eindeutige Verknüpfung von wünschenswerten einstellungs-, verhaltens-, gesundheits-, motivations- und karrierebezogenen Ergebnissen und den begutachteten Programmen hergestellt werden. So konnte beispielsweise die Annahme bestätigt werden, dass Mentoren einen positiven Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit der Mentees haben. Die Studienautoren stellten fest, dass die Effektstärken im akademischen und beruflichen Kontext größer als im Jugendbereich waren. Sie nehmen an, dass Letzteres zum Teil auf den verbreiteten „youth at risk“ Ansatz zurückzuführen ist. Dieser bewirkt eine ungünstige Selektion hochbelasteter Jugendlicher und eine allgemeine Defizitorientierung: beides erschwert positive Mentoring-Ergebnisse (DuBois, Holloway, Valentine & Cooper, 2002; Rhodes & DuBois, 2008).

Die Wirksamkeit des Peer-Mentoring in Programmen der Gesundheitsförderung, insbesondere solchen Programmen zur Reduktion von Risikoverhaltensweisen wie z.B. dem Gebrauch von Alkohol und anderen Drogen, wurde ebenfalls systematisch durch Meta-Analysen überprüft (Faggiano et al., 2008, Thomas, Lorenzetti & Spragins, 2013a, 2013b). Thomas et al. (2013a) identifizierten vier geeignete Studien zu Mentoring und Alkoholgebrauch. In zwei dieser Studien konnte ein geringerer Alkoholgebrauch durch Mentoring nachgewiesen werden. Von den sechs berücksichtigten Studien zu den Auswirkungen des Mentoring auf den Gebrauch sonstiger psychoaktiver Substanzen konnten zwei mit einem geringeren Konsum in Verbindung gebracht werden. Insgesamt fehlen Studien, die nach den wichtigsten Gütekriterien durchgeführt und ausreichend dimensioniert wurden. Dieser Mangel führt zwangsläufig zu einer Abschwächung der Aussagekraft der bestehenden Meta-Analysen. Dies gilt insbesondere für die Auswirkungen des Mentoring auf den Tabakkonsum. Nur vier randomisiert kontrollierte Studien konnten von Thomas et al. identifiziert werden, von denen eine den Nachweis einer Konsumreduktion im Erwachsenenalter erbringen konnte (2013b).

Gesundheitsorientierten Programmen ist zu eigen, dass wünschenswerte Verhaltensweisen angeregt oder verstärkt und Risikoverhaltensweisen sowie deren Auswirkungen verhindert oder abgeschwächt werden sollen (Allen & Eby, 2011; Clements & Buczkiewicz, 1993; Turner & Shepherd, 1999). Peer-Mentoren werden in unterschiedlicher Art und Intensität eingesetzt. Einige Programme definieren den Einsatz von (Peer-)Mentoren als zentrales Element, während andere Interventionen und Programme (Peer-)Mentoren als eine zusätzliche Methode unter vielen einsetzen. Obgleich eine Fülle an grauer Literatur und sonstigen Publikationen zum Thema Peer-Mentoring im Rahmen von Programmen der Gesundheitsförderung bestehen, gibt es nur eine geringe Anzahl empirischer Belege über die Wirksamkeit einzelner Interventionen.

Eine Vielzahl von Richtlinien zur Gestaltung peer-gestützter Interventionen im Rahmen der Gesundheitsförderung sind in der Vergangenheit entwickelt worden. Insgesamt lässt sich resümieren, dass Mentoring auch im Feld der Gesundheitsförderung eine vielversprechende Methode darstellen kann, es aber hinsichtlich der praktischen Umsetzung und Evaluation an Güte mangelt.

Literatur:
  • Bozeman, B. & Feeney, M. K. (2007). Toward a useful theory of mentoring a conceptual analysis and critique. Administration & Society, 39 (6), 719–739.
  • Eby, L. T., Allen, T. D., Evans, S. C., Ng, T. & DuBois, D. L. (2008). Does mentoring matter? A multidisciplinary meta-analysis comparing mentored and non-mentored individuals. Journal of Vocational Behavior, 72 (2), 254–267.
  • DuBois, D. L., Holloway, B. E., Valentine, J. C. & Cooper, H. (2002). Effectiveness of mentoring programs for youth. a meta-analytic review. Am J Community Psychol, 30 (2), 157–197.
  • Rhodes, J. E. & DuBois, D. L. (2008). Mentoring Relationships and Programs for Youth. Current Directions in Psychological Science, 17 (4), 254–258.
  • Faggiano, F., Vigna-Taglianti, F. D., Versino, E., Zambon, A., Borraccino, A. & Lemma, P. (2008). School-based prevention for illicit drugs use. A systematic review. Preventive Medicine, 46 (5), 385–396.
  • Thomas, R. E., Lorenzetti, D. L. & Spragins, W. (2013a). Systematic Review of Mentoring to Prevent or Reduce Alcohol and Drug Use by Adolescents. Academic Pediatrics, 13 (4), 292–299.
  • Thomas, R. E., Lorenzetti, D. L. & Spragins, W. (2013b). Systematic Review of Mentoring to Prevent or Reduce Tobacco Use by Adolescents. Academic Pediatrics, 13 (4), 300–307.
  • Allen, T. D. & Eby, L. T. (2011). The Blackwell handbook of mentoring. A multiple perspectives approach. Wiley.
  • Clements, I. & Buczkiewicz, M. (1993). Approaches to Peer-led Health Education. A guide for youth workers: Health Education Authority London.
  • Turner, G. & Shepherd, J. (1999). A method in search of a theory: peer education and health promotion. Health Education Research, 14 (2), 235–247.

Fortsetzung der Serie zu Peer-Involvement. Teil I: Peer-Involvement als pädagogisches Konzept – Geschichte

Peer-Education

Peer-Education bezeichnet ein im angelsächsischen Raum erstmals wissenschaftlich aufgegriffenes pädagogisches Konzept, bei dem weitergebildete Laien als „Peer-Educators“ Wissen und Fertigkeiten zur Modifikation von Verhaltensweisen gemäß spezifizierter Programmziele in zumeist nicht-formalen Lernumgebungen vermitteln, wobei der Ansatz insbesondere im Bereich der Gesundheits- und Sexualerziehung Anwendung findet (Heyer, 2010).
Shiner (1999, S. 557) kritisiert die definitorische Unschärfe, welche den Begriff umgibt, “it (…) can most appropriately be viewed as an umbrella term used to describe a range of interventions (…)”. Trotz Beiträgen zur Klärung der zentralen Begriffe (Shiner, 1999; Turner & Shepherd, 1999) ist die empirische Absicherung der Wirksamkeit aus Sicht der Kritiker noch nicht ausreichend gegeben (McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000) und die Notwendigkeit der Erhellung zugrundeliegender Wirkmechanismen wurde angemahnt (u.a. Appel & Kleiber, 2003).
Wie auch für die nachfolgend ausgeführten Peer-Ansätze zeichnen sich zwei Argumentationsstränge zur theoretischen Fundierung des Ansatzes ab. Die (1) entwicklungspsychologischen Theoretiker betonen die Funktion der Peer Interaktion bei der Bewältigung adoleszenztypischer Entwicklungsaufgaben, während aus (2) sozialpsychologischer Perspektive die Sozial-kognitive Lerntheorie und das Modelllernen (Bandura, 1979; Bandura & Kober, 1976) die sozialisatorische Funktion der Bezugsgruppe betonen. Kahr weist darauf hin, dass das wichtigste Element von Peer-Education die Beziehungsgestaltung ist: „Peer-Education lebt von Beziehung – Beziehung der Jugendlichen untereinander, Beziehung zu Erwachsenen, unterschiedlichen Rollen…“ (Kahr, 2003).
Hinsichtlich der Programmwirkungen lassen sich (1) Wirkungen auf die „Peer Educators“ und (2) Wirkungen auf die Zielgruppe als zwei grundlegende Dimensionen unterscheiden, wobei der statistische Nachweis von Wirkungen auf die Zielgruppe mit erheblichem Aufwand verbunden ist (McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000). Diese zwei Dimensionen lassen sich als Folie zur Einschätzung aller Peer-Involvement Ansätze verwenden.
Appel und Kleiber (2003) konnten im Rahmen der Begleitevaluation des Modellprojekts „Peer education zu Liebe, Sexualität und Schwangerschaftsverhütung“ in Bezug auf die Peer-Multiplikatoren eine Zunahme an Wissen, wahrgenommener Kommunikationskompetenz, Selbstwertgefühl und des Selbstvertrauens im sexuellen Bereich nachweisen. Hinsichtlich der Adressaten (Schülerinnen und Schüler aller Schulformen im Alter von 12-17 Jahren) konnte in Abhängigkeit der Schulform eine signifikante Steigerung der Kommunikation über das Thema, bei Gesamtschülern ein verbessertes Verhütungsverhalten und bei Gymnasial- und Gesamtschülern der Bekanntheitsgrad von Beratungsstellen gesteigert werden.
Walker und Avis (1999) weisen in ihrem Review auf die Bedingungen des Scheiterns von Peer-Education Programmen hin. Das Fehlen von klar definierten Zielen, Wirksamkeitsindikatoren sowie Inkonsistenzen zwischen Konzeption und Umweltbedingungen sind häufige Fehlerquellen.

Peer-Tutoring

Peer-Tutoring bezeichnete ursprünglich ein System der linearen Vermittlung curricularer Bildungsinhalte im Dreischritt von Lehrendem über Tutor zu Tutee (Topping, 1996; Topping, 2007). Im deutschen Sprachraum besser bekannt ohne den Zusatz „Peer“, sind Tutorien etablierter Bestandteil des schulischen und universitären Bildungssystems. Das aus dem lateinischen stammende Wort „tutor“ bedeutet „Vormund“ bzw. „Beschützer“ und bezeichnet in diesem Kontext zumeist eine hierarchisch gleichgestellte Person, die ergänzend oder zur Wiederholung unterrichtet.
Topping (1996) konnte in seinem Review zeigen, dass die verschiedenen Peer-Tutoring Ansätze wirksam sind und ein günstiges Kosten-Nutzen Verhältnis aufweisen.
Schwerpunkt und Anwendungsbereich des Peer-Tutoring haben sich in den letzten drei Jahrzehnten gewandelt und vergrößert: Soziale und emotionale Programmwirkungen sind nun von ebenso großem Interesse wie kognitive Effekte (Topping, 2007). Topping (2007, S. 631) attestiert zudem eine für den Inklusionsdiskurs erfreuliche Entwicklung: “Engagement in helping now often encompasses all community members, including those with special needs.“, wenngleich Büttner, Warwas und Adl-Amini (2012) mit Blick auf schulische Inklusion auf die Notwendigkeit weiterer Forschung zum Einsatz dieser Methode hinweisen.

Peer-Counseling

Der formalisierte Peer-Counseling Ansatz entstammt historisch gesehen der Suche nach neuen methodischen Ansätzen in der Suchtprävention und kann als Weiterentwicklung des Peer-Tutoring betrachtet werden. Es geht dabei um die „Beratung durch Menschen, die in ihrem Leben vergleichbaren Problemstrukturen ausgesetzt sind oder in der Vergangenheit ausgesetzt waren“ (Wienstroer, 1999, S. 165), um bei der Klärung ebendieser psychosozialen Herausforderungen zu unterstützen und potentielle Lösungswege aufzuzeigen (Topping & Ehly, 1998). Beratungsgespräche finden entweder bilateral oder in Gruppen statt, werden auf Abruf (teilweise auch über Telefon; Internet) angeboten oder sind fester Bestandteil curricularer Programme. Eignungskriterien für Peer-Berater sind nicht übergreifend standardisiert oder zwingend an Qualitätsstandards ausgerichtet. Die Bedeutung guter Ausbildung und Betreuung ist ostensiv, wird jedoch ebenso wie die Eignungsfeststellung sehr unterschiedlich gehandhabt. Peer-Counseling wird im Rahmen vieler gesundheitsbezogener Programme eingesetzt. In der Literatur sind zahlreiche Ansätze beschrieben (z.B. Anderson, Damio, Young, Chapman & Pérez-Escamilla, 2005; Giese‐Davis et al., 2006; Malchodi et al., 2003), in der Summe jedoch nicht umfassend evaluiert worden.
Oster (1983) beschreibt eine Intervention zur Prävention des Missbrauchs von Alkohol und anderen Drogen an einer US-amerikanischen High-School. Im Verlauf von neun Wochen wurden begleitend zu einem Kurs zur Problemlösefähigkeit und schulweiter Sensibilisierung für das Thema Substanzmissbrauch Beratungsgespräche durch weitergebildete Schüler durchgeführt. Die Studie deutet an, was im Verlauf der Jahrzehnte ausdifferenziert, theoretisiert und adressiert wurde: Einerseits sind im Kontext schulischer Suchtprävention auch unter Zuhilfenahme von Beratern aus der Bezugsgruppe selten signifikante Verhaltensänderungen in direkter Folge der Intervention zu erwarten (Cuijpers, 2003), andererseits bedeutet die intensive Förderung einzelner Schüler mit dem Ziel der Verantwortungsübernahme in ihrer Peer-Group einen von den Primärzielen der hier skizzierten Intervention abweichenden, aber für die Peer-Counselors fruchtbaren Prozess, da zahlreiche Impulse zur Kompetenzentwicklung und Identitätsfindung gegeben werden.

Peer-Mentoring

Peer-Mentoring bedeutet die Weitergabe von Wissen und Erfahrung durch Mentoren an Personen, die ihnen in Bezug auf ein Programmziel oder einen zu fördernden Aspekt gleichgestellt sind (Mentees). Ziegler (2009, S. 5) definiert Mentoring in einer Synthese bisheriger Definitionsversuche „(…) als zeitlich stabile dyadische Beziehung zwischen einem erfahrenen Mentor/in und einem weniger erfahrenen Mentee (…) mit dem Ziel der Förderung des Lernens, der Entwicklung sowie des Vorankommen des/der Mentees.“
Da Peer-Mentoren der Zielgruppe nahe stehen, sind sie als Modelle und Projektionsfläche wichtige Sozialisationsinstanzen (Schunk & Hanson, 1989). Peer-Mentoring ist aber keineswegs nur für die Adressatengruppe ein interessanter und zuträglicher Ansatz. Auch für die Mentoren selbst gibt es potentiell zahlreiche Impulse zur Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung.
Die förderliche Rolle gelungener Mentorenbeziehungen ist nicht nur durch das ihm zugrundeliegende Vorbild aus der griechischen Mythologie bekannt. Auch im Alltagserleben spielen überdauernde unterstützende Beziehungen eine zentrale Rolle, die sich in institutionalisierter Form zum Beispiel im Lehrling-Meister Verhältnis wiederspiegelt. Die Wirksamkeit des Mentoring-Ansatzes wurde durch biographische Studien in hunderten von Einzelfällen eindrucksvoll fundiert (Merriam, 1983; Roch, 1978; Vaillant, 1977). Wie auch bei den zuvor dargestellten Peer-Ansätzen gibt es nicht „das Mentoring, sondern viele verschiedene, die in unterschiedlichen Disziplinen in mannigfachen Formen mit jeweils spezifischen Zielsetzungen durchgeführt werden“ (Ziegler, 2009). Das gilt auch für die Wirksamkeit: „Mentoring kann zwar hoch effektiv sein, in der Tat sogar die effektivste pädagogische Maßnahme, doch ist die Effektstärke aufgrund verschiedener Umsetzungsmängel typischerweise niedrig bis moderat (ebd., S.18)“.

Teil 3 dieser Serie widmet sich dem Forschungsstand zur Wirksamkeit von Peer-Involvement-Ansätzen.

Literatur:
  • Heyer, R. (2010). Peer-Education – Ziele, Möglichkeiten und Grenzen. In M. Harring, O. Böhm-Kasper, C. Rohlfs & C. Palentien (Hrsg.), Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen (S. 407–421). VS Verlag für Sozialwissenschaften. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-92315-4_19
  • Shiner, M. (1999). Defining peer education. Journal of Adolescence, 22 (4), 555–566.
  • Turner, G. & Shepherd, J. (1999). A method in search of a theory: peer education and health promotion. Health Education Research, 14 (2), 235–247.
  • McKeganey, Steve Parkin, Neil. (2000). The rise and rise of peer education approaches. Drugs: education, prevention, and policy, 7 (3), 293–310.
  • Appel, E. & Kleiber, D. (2003). Auswirkungen eines Peer-Education-Programms zu Liebe, Sexualität und Schwangerschaftsverhütung auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Adressatinnen und Adressaten. In M. Nörber (Hrsg.), Peer Education
  • Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie: Klett-Cotta.
  • Bandura, A. & Kober, H. (1976). Lernen am modell: Klett Stuttgart.
  • Kahr, C. (2003). Orientierungspunkte für Peer-Education-Projekte. Nörber, Martin (Hg.). Peer Education. Bildung und Erziehung von Gleichaltrigen durch Gleichaltrige, 50–64
  • Walker, S. A. & Avis, M. (1999). Common reasons why peer education fails. Journal of Adolescence, 22 (4), 573–577.
  • Topping, K. J. (1996). The effectiveness of peer tutoring in further and higher education: A typology and review of the literature. Higher Education, 32 (3), 321–345. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/BF00138870
  • Topping, K. J. (2007). Trends in peer learning. Educational psychology, 25 (6), 631–645.
  • Büttner, G., Warwas, J. & Adl-Amini, K. (2012). Kooperatives lernen und peer tutoring im inklusiven unterricht. Zeitschrift für Inklusion (1-2).
  • Wienstroer, G. N. (1999). Peer Counselling. Das neue Arbeitsprinzip emanzipatorischer Behindertenarbeit. Günther, Peter & Eckhard Rohrmann (Hg.): Soziale Selbsthilfe. Alternative, Ergänzung oder Methode sozialer Arbeit, 165–180.
  • Topping, K. & Ehly, S. (1998). Peer-assisted learning: Routledge.
  • Anderson, A. K., Damio, G., Young, S., Chapman, D. J. & Pérez-Escamilla, R. (2005). A randomized trial assessing the efficacy of peer counseling on exclusive breastfeeding in a predominantly Latina low-income community. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 159 (9), 836–841.
  • Giese‐Davis, J., Bliss‐Isberg, C., Carson, K., Star, P., Donaghy, J., Cordova, M. J. et al. (2006). The effect of peer counseling on quality of life following diagnosis of breast cancer: an observational study. Psycho‐Oncology, 15 (11), 1014–1022.
  • Malchodi, C. S., Oncken, C., Dornelas, E. A., Caramanica, L., Gregonis, E. & Curry, S. L. (2003). The effects of peer counseling on smoking cessation and reduction. Obstetrics & Gynecology, 101 (3), 504–510.
  • Oster, R. A. (1983). Peer counseling: Drug and alcohol abuse prevention. Journal of Primary Prevention, 3 (3), 188–199.
  • Cuijpers, P. (2003). Three Decades of Drug Prevention Research. Drugs: education, prevention, and policy, 10 (1), 7–20.
  • Ziegler, A. (2009). Mentoring: Konzeptuelle Grundlagen und Wirksamkeitsanalyse. In H. Stöger, A. Ziegler & D. Schimke (Hrsg.), Mentoring: theoretische Hintergründe, empirische Befunde und praktische Anwendungen. Pabst Science Publishers.
  • Schunk, D. H. & Hanson, A. R. (1989). Influence of peer-model attributes on children’s beliefs and learning. Journal of Educational Psychology, 81 (3), 431.
  • Merriam, S. (1983). Mentors and protégés: A critical review of the literature. Adult Education Quarterly, 33 (3), 161–173.
  • Roch, G. R. (1978). Much ado about mentors. Harvard business review, 57 (1), 14–20.
  • Vaillant, G. E. (1977). Adaptation to life: Harvard University Press.

Geschichte des Peer-Involvement

Der Begriff „Peer“ bedeutet gemäß seiner altfranzösischen Wurzel so viel wie „gleichrangig“ oder „gleichgestellt“ und ist – obgleich der Umstrittenheit seines etymologischen Ursprungs (Kleiber, Appel & Pforr, 1998; Naudascher, 1977) – in der Begriffspaarung „Peer Group“ bereits seit einigen Jahrzehnten Gegenstand psychologischer, erziehungs- und bildungswissenschaftlicher Forschung (Damon, 1984; DuBois & Karcher, 2013; u.a. Naudascher, 1977; Piaget, 2003). Die Verwirklichung von Erziehungszielen durch die Instrumentalisierung des Einflusses von Gleichaltrigen oder Gleichgestellten ist jedoch kein neuzeitliches Phänomen. „Als zentraler Durchbruch der Idee von Peer Ansätzen gilt das schulische Peer-Lernen im frühen 19. Jahrhundert“, wo es als adjuvante Methode der schulischen Bildung eingesetzt wurde (Schmidt, 2002, S. 127).

Laut Wagner (1982) geht der erste schriftliche Nachweis des Einsatzes von Gleichaltrigen als Erzieher bereits auf Aristoteles zurück und wurde in verschiedener Form im Laufe der Geschichte wieder- und neuentdeckt. Erst zu Zeiten der Renaissance und Reformation ist jedoch eine überdauernde Wiederbesinnung auf das Prinzip nachzuweisen. Erwähnenswert ist das von Andrew Bell erdachte und von Joseph Lancaster im Königreich Großbritannien um 1800 verwirklichte Monitorialsystem, bei dem erfahrene Schüler als Hilfslehrer unterrichteten.

Miller und MacGilchrist (1996) unterscheiden zwei wesentliche Entwicklungslinien und Begründungsmuster des Peer-Involvement:

  • „Peer Teaching“ d.h. Unterricht durch gleichaltrige oder gleichgestellte Schüler und Studenten. Begründet aus ökonomischer Notwendigkeit und wissenschaftlich in den USA ab 1960 aufgegriffen, wird der Ansatz heute aufgrund der potentiell qualitativen Verbesserung des Lernens eingesetzt: „It suggests that there are positive psychological benefits for both the peer tutor and the tutee“ (S.26).
  • „Psychosocial peer-led programmes” sind historisch aus dem Bedarf nach besseren Methoden zur Erreichung von Verhaltensänderung entstanden. Theoretisch werden sie hauptsächlich durch die sozial-kognitive Lerntheorie und die Inokulationstheorie begründet und entstanden ab 1975 überwiegend in den USA.

Die Peer-Ansätze des 20. Jahrhunderts stehen in keiner direkten Traditionslinie mit den diversen von Wagner aufgezeigten, unter vielgestaltigen historischen und ökonomischen Rahmenbedingungen entstanden Beispielen von Erziehung durch Peers (Damon & Phelps, 1989).

Shiner (1999, S. 555) weist deutlich auf die begriffliche Ambiguität hin, die das umrissene Feld bis dato kennzeichnet: „The need for tighter definitions is clear“. Für die theoretische Auseinandersetzung und Evaluationen der Peer-Involvement Ansätze markiert das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine Phase der Bilanzierung und Professionalisierung, gekennzeichnet von einem kritischen Diskurs gegenüber der bis dahin überwiegend praxisgeleiteten und unkritischen (Weiter-)Entwicklung der in der Mitte des Jahrhunderts begonnenen pädagogischen Praxis (z.B. Dishion, McCord & Poulin, 1999; Turner & Shepherd, 1999; Walker & Avis, 1999).

Konzeptuelle Formen des Peer-Involvement

In der pädagogischen Praxis sind divergente, theoretisch uneinheitlich begründete Ansätze der Arbeit mit Peers verbreitet, die gegenwärtig unter dem Überbegriff „Peer-Involvement“ subsumiert werden. Zielsetzung und methodische Verortung spiegeln sich jeweils in der Namensgebung wider: „Peer Counseling“, „Peer Tutoring“ und „Peer Mediation“ seien hierbei exemplarisch genannt (Kleiber & Pforr, 1996). Laut Schmidt (2002, S. 129) gehören zu „Peer-Involvement“ all diejenigen Ansätze, die „von außen initiiert wurden“, sich also von der ubiquitären Interaktion von Menschen innerhalb ihrer Bezugsgruppe(n) abgrenzen.

Diese breite Perspektive und die Vielzahl von Praxisansätzen führen zwangsläufig zu definitorischer Unschärfe und einem ungleichen Evidenzbestand, „With no guidelines to differentiate between the techniques used, there is a danger that all projects that involve peer-led work will be categorized as one and compared “like to like” (Miller & MacGilchrist, 1996, S. 25). Allgemeine Übereinstimmung besteht jedoch darin, dass Peer-Ansätze sich auf die unterstützende Interaktion von Gleichaltrigen, Gleichbetroffenen, Gleichgestellten, Gleicherfahrenen beziehen (z.B. McKeganey, Steve Parkin, Neil, 2000; Miller & MacGilchrist, 1996; Shiner, 1999). Diese sind nicht an formalisierte Bildungskontexte wie zum Beispiel klassische Bildungseinrichtungen gebunden, sondern werden auch in nicht-formalen Kontexten initiiert.

Einige Autoren haben in der Vergangenheit Vorschläge zur Systematisierung der vielfältigen Peer-Ansätze gemacht (z.B. Kleiber & Pforr, 1996; Topping & Ehly, 1998). Während innerhalb der bildungswissenschaftlichen Methodendiskussion die Unterscheidung der wichtigsten Methoden („Peer-Tutoring“, „Cooperative Learning“ und „Peer-Assessment“) trennscharf erscheint (Damon & Phelps, 1989; Topping, 2007), wird die insbesondere im gesundheitspädagogischen Präventionsdiskurs etablierte Systematik (Backes & Lieb, 2003; Kleiber, Appel & Pforr, 1998) für ihre mangelnde Trennschärfe kritisiert (Heyer, 2010; Miller & MacGilchrist, 1996). Hierbei wurden im deutschsprachigen Raum „Peer-Counseling“, „Peer-Education“ und „Peer-Projekte“ als wesentliche Methoden identifiziert.

Da mangels Vereinheitlichung und der Fülle grauer Literatur keine erschöpfende Übersicht darstellbar ist, werden in den folgenden Blogs einige der zentralen Ansätze exemplarisch dargelegt.

Teil II: Konzeptuelle Formen des Peer-Involvement

Literatur:
  • Kleiber, D., Appel, E. & Pforr, P. (1998). Peer Education in der Präventionsarbeit. Berlin (Institut für Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung an der FU Berlin) Köln.
  • Naudascher, B. (1977). Die Gleichaltrigen als Erzieher. Fakten, Theorien, Konsequenzen zur Peer-Group-Forschung: Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt.
  • Damon, W. (1984). Peer education: The untapped potential. Journal of Applied Developmental Psychology, 5 (4), 331–343. Verfügbar unter http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0193397384900066
  • DuBois, D. L. & Karcher, M. J. (2013). Handbook of youth mentoring: Sage Publications.
  • Piaget, J. (2003). Meine theorie der geistigen entwicklung: Beltz.
  • Schmidt, B. (2002). Peer-Intervention–Peer-Involvement–Peer-Support: Möglichkeiten und Grenzen peergestützter Ansätze für die Prävention riskanter Drogenkonsumformen in der Partyszene. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)(Hrsg.): Drogenkonsum in der Partyszene: Entwicklungen und aktueller Kenntnisstand, 127–140.
  • Wagner, L. (1982). Peer teaching: Historical perspectives: Praeger Pub Text.
  • Miller, W. & MacGilchrist, L. (1996). A model for peer-led work. Health Education, 96 (2), 24–29.
  • Shiner, M. (1999). Defining peer education. Journal of Adolescence, 22 (4), 555–566.
  • Dishion, T. J., McCord, J. & Poulin, F. (1999). When interventions harm: Peer groups and problem behavior. American psychologist, 54 (9), 755.
  • Turner, G. & Shepherd, J. (1999). A method in search of a theory: peer education and health promotion. Health Education Research, 14 (2), 235–247.
  • Walker, S. A. & Avis, M. (1999). Common reasons why peer education fails. Journal of Adolescence, 22 (4), 573–577.
  • Kleiber, D. & Pforr, P. (1996). Peer-involvement. Ein Ansatz zur Prävention und Gesundheitsförderung von Jugendlichen für Jugendliche, Köln.
  • McKeganey, Steve Parkin, Neil. (2000). The rise and rise of peer education approaches. Drugs: education, prevention, and policy, 7 (3), 293–310.
  • Topping, K. & Ehly, S. (1998). Peer-assisted learning: Routledge.
  • Topping, K. J. (2007). Trends in peer learning. Educational psychology, 25 (6), 631–645.
  • Backes, H. & Lieb, C. (2003). Peer education. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden in der Gesundheitsförderung, 4, 176–179.
  • Heyer, R. (2010). Peer-Education – Ziele, Möglichkeiten und Grenzen. In M. Harring, O. Böhm-Kasper, C. Rohlfs & C. Palentien (Hrsg.), Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen (S. 407–421). VS Verlag für Sozialwissenschaften. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-92315-4_19